Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr. 258 – Mittwoch, 3. November 1915
Der fleischlose Tag. Manche Hausfrau war gestern vormittag nicht wenig überrascht, als sie ihre Einkäufe beim Schlächter machen wollte, den Laden aber geschlossen fand. Viele Frauen hatten eben vergessen, daß gestern zum ersten Male die neue Bundesratsverordnung in Geltung trat, nach welcher Dienstags und Freitags Fleisch und Fleischwaren nicht verkauft werden dürfen. Viele andere Hausfrauen hatten jedoch an die neue Verordnung gedacht und am Montag abend die Schlächterläden förmlich gestürmt, als müßten sie Hungers sterben, wenn sie einmal ohne Fleisch sich behelfen müssen. Man darf wohl annehmen, daß der Sturm auf die Fleischerläden nur in der ersten Aufregung über die neuen bundesratlichen Bestimmungen erfolgt ist und die Hausfrauen künftig die fleischlosen Tage besser respektieren werden, denn sonst wird an diesen Tagen tatsächlich nur in den Restaurants an Fleisch gespart, und damit wird nichts oder nur wenig erreicht. – In den hiesigen Gastwirtschaften spielten gestern auf den Speisekarten die Fische ein große Rolle; man konnte Karpfen, Schellfisch, Kabliau usw. in den verschiedenen Zubereitungen erhalten. Auch Eierspeisen und Kartoffelgerichte fehlten nicht und statt der sonst üblichen Kraftbrühe gab es Kürbissuppe. Gewiß alles schmackhafte und sehr nahrhafte Speisen, welche die sonst gewohnten Fleischgerichte gar nicht vermissen ließen. Neuköllner Alltägliches weiterlesen