Archiv der Kategorie: Tagebuch

Petras Tagebuch

Wie es der Zufall will

Zufällig war ich neulich um 20 Uhr am Heinrichplatz und zufällig waren dort ganz viele Fahrradfahrer, die dann plötzlich losfuhren. Ich fuhr dann mal mit, ich hatte nichts Besseres zu tun.
Schätzungsweise 2.000 Radler bildeten die »Critical Mass«, die sich immer am letzten Freitag im Monat zusammenfindet, um die Stadt zu erobern. Offensichtlich war allen bekannt, dass ein Verbund von mehr als 15 Radlern eine Verkehrseinheit bildet.
Ich war erstaunt, wie gesittet sich die Einheit im Straßenverkehr verhielt. Die Spitze hielt an jeder roten Ampel und fuhr bei Grün, der Rest durfte dann durchfahren, auch wenn die Ampel auf Rot sprang. Für fast alle Teilnehmer war der Ausflug ein entspann­tes Rollern im verkehrsbefreiten Berlin.
Wo es hingehen sollte, wusste keiner, da hatte wieder der Zufall seine Finger im Spiel.
Kommentare jeglicher Art gab es von Unbeteiligten: »Hier hält man bei Rot, Ihr Wichser – anhalten!«, brüllte ein Fußgänger. Die halbstarken BMW-Fahrer konnten ausgiebig den Klang ihrer Hupen testen und ihre Stimmbänder trainieren: »Ich fick Deine Mutter, hast Du Macke, bist Du schwul?« Die Radler fanden das amüsant.
Interessant war das Spektrum an Fahrrädern und Radlern. Ein Fahrradfahrer, der bestimmt jenseits der 70 war, fuhr auf extrem dicken Reifen in flottem Tempo mit. Ich fragte ihn, ob es nicht sehr anstrengend sei, auf solchen Reifen zu fahren. Darauf er: »Kommt immer darauf an, wo man herkommt. Bis vor Kurzem bin ich mit meinem alten Klapprad gefahren und hatte immer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 km/h, da ist dieses Modell leichter zu fahren.« Ich versank in Ehrfurcht.
Vier Stunden insgesamt radelte diese witzige Truppe durch Berlin. Ich liebe Zufälle.

Petras Tagebuch

Vielen Dank, Maria

Mit dem Glück ist das immer so eine Sache. Es kommt unverhofft, verbleibt und ist plötzlich verschwunden. Wenn es dann aber mal ohne Unterbrechung da ist, gerate ich in Verwunderung.
Es begann bei der Fahrt nach Österreich, als wir in dem Wallfahrtsort Altötting Rast machten und in einem Rondell die Danksagungen an Maria entdeckten. Die Wände und die Decken waren voll mit beschrifteten Bildern, auf denen Maria gedankt wurde – für geheilte Krankheiten, für eine lang erwünschte Ehe, für den erfüllten Kinderwunsch, die Dank­sagungen nahmen kein Ende.
Als wir zum Auto zurückkehrten, setzte gerade im Moment des Türenschließens ein Wolkenbruch das Städtchen unter Wasser. Im Auto waren wir trocken. Das wiederholte sich während des Urlaubs. Als die Österreicher uns dann erzählten, dass das Wetter vorher ganz schlecht war, gelangte ich zu der Überzeugung, dass Maria ihre Finger da im Spiel hatte.
Untermauert wurde die Ansicht dadurch, dass ich weder beim Bergwandern noch bei den Radtouren verunglückt bin.
Als ich dann noch dem Versprechen nachkam, im Bikerpark von Leogang mit einem Fahrrad in halsbrecherischer Art einen Berg herunterzufahren, begann ich auf Maria zu hoffen.
Mit der Seilbahn ging es nach oben. Ausgestattet mit Schutzausrüstung ging es auf Fahrrädern, die für den normalen Stadtgebrauch untauglich wären los. Sie sind stark gefedert, der Sattel ist sehr tief, die Reifen sind ballonartig.
So steil wie es hoch ging, so ging es dann auch runter, nur schneller, nur kurviger, steiniger und viel rutschiger.
Ich habe es überlebt und werde das nie wieder tun, ich habe Maria genug strapaziert.

Petras Tagebuch

Gebügelt und gerädert

Ich gehöre zu den Menschen, man mag mich da für spießig halten, die vom Wäschebügeln absolut überzeugt sind. Es ist nicht nur so, dass Stoffe dadurch schöner aussehen, das Bügeln wirkt auch imprägnierend und ist damit ökologisch vertretbar, weil die Waschmaschine geschont wird.
Gebügelt wird bei mir mit Dampfbügeleisen, das mit destilliertem Wasser befüllt wird. Und das ging gerade aus.
Nach einer Nachtschicht, in der ich zweieinhalb Stunden Halbschlaf hatte, habe ich mich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf den Weg gemacht, um eben dieses Wasser zu kaufen. Mit viel Gewicht in den Fahrradtaschen und völlig übermüdet fuhr ich mit dem festen Vorsatz, mich gleich ins Bett zu legen, in Richtung meiner Wohnung. Dann aber musste ich hier und da noch anhalten, um einen Klönschnack zu halten. Ein Konzert, das mich interessiert hätte, sagte ich ab. Es war dann 21:00 Uhr, als ich zu Hause ankam.
Da mich das Durcheinander in der Wohnung aufregte, fing ich an, noch ein wenig aufzuräumen. Und als ich endlich meine Taschen ausräumte, stieß ich auf das destillierte Wasser.
Sofort hatte ich das Bügeleisen in der Hand und probierte das Wasser aus. Ja, es war besser als das vorherige, so meinte ich. Und bügelte und bügelte. Alle meine Tischdecken, Hosen, Blusen und Röcke sahen wieder schick aus. Es war 3:30 Uhr, als ich fertig war. Ich war wach und sollte am Morgen um 7:00 Uhr wieder aufstehen.
Das klappte übrigens nicht. Als um 10:00 Uhr das Telefon klingelte, befand ich mich noch immer im Tiefschlaf

Petras Tagebuch

Kleidersuche bis zur Weißglut

Der Frühling mit seinen ersten Sonnenstrahlen ist für mich immer die Aufforderung, den Garderobenschrank auf jahreszeitliche Tauglichkeit zu überprüfen. Ganz besonders ist mir dann immer nach weiß. Die dunklen Kleider sind nicht mehr zu ertragen, es muss dann hell werden.
Nun gibt es Lieblingskleidungsstücke, die unerlässlich sind für den Frühling. Dazu gehört ein weißer Rock. Ich machte mich auf die Suche und war noch nicht beunruhigt, im ersten Anlauf erfolglos gewesen zu sein.
Am nächsten Tag ging die Suche weiter. Ich suchte zwischen den liegenden Röcken – ohne Erfolg. Ich suchte zwischen den hängenden Röcken, aber auch da war er nicht.
Selbst zwischen der Bügelwäsche war das gute Stück nicht zu finden. Ich berichtete voller Erstaunen im Freundeskreis über das Verschwinden meines Rocks und dessen Nichtauftauchens trotz meines Engagements.
Felix kennt mich ziemlich gut; um genau zu sein, er kennt mich manchmal besser als ich mich selbst. Sein Vorschlag zu diesem Thema kam prompt: »Schau doch mal zwischen deiner weißen Tischwäsche, da fällt der Rock am wenigsten auf.«
Das erschien mir im ersten Moment weit hergeholt, aber einen Versuch war es doch wert.
Der Rock befand sich tatsächlich zwischen der weißen, noch nicht gebügelten Tischwäsche, ganz hinten, eingequetscht zwischen zwei weißen Tischdecken.

Petras Tagebuch

Vorfreude auf das Fahrrad, das zum Lippenstift passt

Der Entschluss stand fest, nachdem mir mein Fahrradschrauber den Kostenvoranschlag für die Reparatur meines Fahrrades machte. Es musste ein neues her. Das alte hatte, wenn auch ein bisschen behäbig, gute Dienste geleistet und stand mir immer treu zur Seite.
Nun sollte es mein Traumfahrrad werden.
Diese Marke jedoch erhielt ich nur in einem Berliner Fahrradladen, den ich wegen des schlechten Services eigentlich nie wieder betreten wollte. In diesem Fall allerdings überwand ich meine Sturheit und machte nach mehr als zehn Jahren einen neuen Versuch.
Bewaffnet mit meinem Lieblingslippenstift traf ich im Laden ein und hatte bereits nach kurzer Zeit das Traumfahrrad entdeckt. Die Rahmenhöhe stimmte, die Wendigkeit war nach meinem Geschmack und die knupperkirschrote Lackierung passte hervorragend zu meinem Lippenstift.
Die Liste der Sonderwünsche war lang. Ein besonders stabiler Gepäckträger für das Austragen der Zeitungen, entsprechend auch ein Ständer, der das Gewicht aushält und eine Hydraulikbremse, die das Einfrieren der Bremsen im Winter vermeidet, um nur die wichtigsten Wünsche zu nennen. Natürlich konnte ich ein solches Rad nicht mitnehmen.
Seither befinde ich mich im Stadium der Vorfreude. Das ist nicht unbedingt leicht für meine Umwelt, muss sie sich  doch immer wieder aufs Neue Fahrradgeschichten von mir anhören. Die Lobpreisungen auf das noch nicht vorhandene Vehikel nehmen kein Ende und beschäftigen mich geradezu wie im Rausch. Ich schmiede Pläne. Am Liebsten würde ich mit dem Fahrrad um die Welt reisen. Es entgeht mir auch nicht, dass meine Freunde beim Wort Fahrrad die Augen verdrehen, aber nachsichtig zuhören. Bald ist das Fahrrad da.

Petras Tagebuch

Berlinale japanisch

Es war ein netter Versuch, die Berlinale zu besuchen. Eigentlich ist es mir eine große Freude, jedes Jahr Filme der besonderen Qualität zu sehen.
Dieses Mal jedoch erlaubte die knappe Zeit keinen dieser von mir so geliebten Vergnügungsbesuche. Aber es gibt ja die Kiez und Kneipe, die immerhin verpflichtet. Also plante ich den Besuch von »Berlinale goes Kiez«.
In Ermangelung einer Akkreditierung musste ich den Weg des normalen Bürgers einschlagen und mich an der Schlange im Kino »Passage« an der Kasse anstellen. So gedacht, nicht um die Problematik der Umsetzung ahnend.
Die Schlange vor dieser Kinokasse war nun wirklich ziemlich lang. Es machte mir gar nichts aus, denn das war für mich nur die Garantie, dass auch ich noch einen dieser begehrten Plätze erheische.
Vor und hinter mir stand eine Gruppe von, ich vermute, Japanern. Da sie fast alle einen Mundschutz trugen, müssen es Japaner gewesen sein, die sich vor Berliner Infektionen schützen wollten. Selbstverständlich beharrte ich nicht auf meinen Platz in der Schlange und war bemüht, Abstand zu der Gruppe zu halten, um sie nicht in Angst und Schrecken vor meinen Bakterien zu versetzen.
Es kam wie es kommen musste. Irgendwie muss ich mich vertan haben, denn immer, wenn ich den Abstand suchte, drängelte mich jemand weg, mit dem Ergebnis, dass ich immer weiter nach hinten geriet.
Nun gut, das ist dann manchmal so, dachte ich mir und übte mich weiterhin in Geduld. Langsam wurde mir vor vielen Menschen schwindelig. Es sollte einfach nicht mehr so lange dauern.
Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. In der Hoffnung, dass sich die Warterei gelohnt hat, orderte ich Kinokarten für die beiden Berlinalefilme, die hier gespielt werden sollten. Es ist kein Wunder, dass die Karten ausverkauft waren, es war einfach kein guter Tag. Im nächsten Jahr muss ich das anders machen.

Petras Tagebuch

Das Ende eines wundersamen Abonnements

Zum Ende eines Jahres habe ich immer wieder das Bedürfnis, Dinge abzuschließen. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, meine Zeitschriftenabonnements zu überprüfen und zu entscheiden, ob ich sie kündige.
Eine der Zeitschriften beziehe ich seit über zehn Jahren und bezahle nicht dafür. Irgendwie muss ich durch die Debitorenbuchhaltung gerutscht sein. Auch erhielt ich nie eine Zahlungsaufforderung oder Mahnung.
Es war mir aber so lästig, sie immer wieder zu entsorgen, dass ich mich nun entschloss, sie zu kündigen. Außerdem wurde die Zeitschrift im Laufe der Jahre in meinen Augen immer schlechter.
Erleichtert stellte ich fest, dass in diesem Fall sogar eine telefonische Kündigung möglich war. Also rief ich, ein wenig ängstlich, dort an. Die Kündigung wurde von einer Mitarbeiterin registriert, es fand das übliche Verkaufsgespräch statt. »Gefällt Ihnen die Zeitung nicht mehr?«, so die Mitarbeiterin. »Ich finde die Zeitschrift richtig gut, aber ich kann sie mir nicht mehr leisten. Irgendwo musste ich beginnen einzusparen und das sind die Abonnements«, erklärte ich. Dann wurden mir diverse Schnupperangebote zu Superkonditionen angeboten, die ich aber alle ablehnte. Sie passten so gar nicht zu meinem mir auferlegten Sparprogramm.
Freundlich fragte die Mitarbeiterin, ob ich die Zeitschrift noch bis Februar beziehen möchte, denn so lange hätte ich ja bezahlt. Ich schluckte, denn ich hatte ja noch nie dafür bezahlt. »Ich meine, die letzte Abbuchung war im November, dann kommt das bis Februar hin«, fantasierte ich der Frau vor. Sie bestätigte mich.
Das begreife ich nicht. Wie kann es sein, dass Geld für eine Zeitung, die ich seit vielen Jahren beziehe und nie bezahlt habe, trotzdem von einem Konto abgebucht wurde? Meins war es jedenfalls  nicht. So etwas könnte mir aber ruhig häufiger passieren.

Petras Tagebuch

Waldfrevel

Seit vielen Jahren bereits pflege ich die Tradition des Waldfrevels. In der Woche vor dem ersten Advent fahre ich mit der Regionalbahn ins Umland, fahre ein Stück mit dem Fahrrad, um dann Kiefern, Tannen und Fichten aus dem Wald zu holen. Im Rahmen meiner sommerlichen Fahrradtouren suche ich immer die bes­ten Gegenden für den Grünklau aus.
Da ich prinzipiell nie für mich selbst Zweige hole,  sondern nur im Auftrag,  muss selbstverständlich Nachfrage und Angebot aufeinander abgestimmt werden.
In diesem Jahr fuhren wir also in gewohnter Zusammensetzung, nämlich Werner und ich, mit der Bahn nach Oranienburg. Ungefähr zehn Kilometer entfernt fanden wir unseren Adventsschmuck noch in freier Natur. Wir machten uns ans Werk und beluden die Fahrräder mit der Beute. Die Fahrräder waren so vollgepackt, dass die Rücklichter unter den Zweigen verschwanden.
Dann passierte das, worüber wir in den vergangenen Jahren immer scherzten: Der Förster stand vor uns und erkundigte sich nach unserer Fracht. Sie war nicht zu übersehen und es gab auch nichts zu beschönigen. Ja, wir haben in seinem Wald Tannen und Kiefern gestohlen. Er hielt die Hand auf: »30 Euro kostet Sie der Spaß« und belehrte uns über unseren Diebstahl.
Ich überlegte verzweifelt, wie ich den Mann besänftigen könnte und bot ihm einen Tee an. Das wertete er allerdings als Bestechungsversuch und ließ mich ins Leere laufen.
Mein nächster Versuch, mit ihm ein freundliches Gespräch zu führen, bezog sich auf die Jagd. Sie­he da, er wurde vertraulicher. Ich erfuhr, dass er vom Land Brandenburg angestellt sei und tatsächlich in seinem Revier jage. Auf die Frage, was er mit den erlegten Tieren mache, sagte er, er verkaufe sie. »Sie können von mir Rehfleisch kaufen mit Fell und Knochen.« Das wollte ich nicht, ich kann auch Fleisch und Fell nicht trennen.
Das Gespräch wurde immer angenehmer und lockerer. Als wir dann fragten, wie wir denn nun auseinandergehen sollten, gab er uns seine Visitenkarte mit der Bitte, im nächsten Jahr vorher anzurufen. Er fand  inzwischen witzig, dass zwei Berliner ins Grüne fahren, um seinen Wald zu plündern. Bezahlen brauchen wir jedenfalls  ab jetzt nichts mehr.

Petras Tagebuch

Zwischen den Jahren

Das vergangene Jahr hatte keinen guten Abschluss. Während das Jahr 2012 insgesamt recht gut war, standen die Sterne im Dezember ganz schlecht für mich. Eine Panne ging in die nächste über.

Ein verlorenes Bahnticket, dann wurde mein Geldbeutel gestohlen, mit allen Papieren, versteht sich. Nicht zu vergessen die für teures Geld gekaufte Luxuskörperölflasche, die ich in der Eile herunter gerissen habe, zerschellte und das Badezimmer einer Wellnessbehandlung unterzog.

Dann gab es da noch die eigenartige Geschichte mit meinem guten »Abus«-Fahrradschloss. Als ich abends damit mein Fahrrad abschließen wollte, hatte ich zwei Teile in der Hand. Die Stahlschnur war durchgerostet. Mein Fahrradhändler hatte so etwas noch nie gesehen und die Garantie war seit einem Monat abgelaufen.

Schlussfolgernd wollte ich alles richtig machen, um zu verhindern, dass sich die bösen Geister zwischen den Jahren in Wohnungen einnisten. Also wusch ich keine Wäsche, machte keinen Lärm mit dem Staubsauger, verhielt mich leise und öffnete häufig die Fenster. Fest geschlossen waren sie natürlich nach Silvester, damit sich das Glück von hinten herum herein schleichen kann.

Genutzt hat es nichts: Als ich am Produktionssamstag auf dem Schillermarkt ankam, um den guten Käse von Peppi zu kaufen, fand ich eine leere Stelle vor. Auch mein Lieblingsbutterhändler Gerold Zink, bei dem es auch besten Käse gegeben hätte, war nicht da. Er mache Urlaub, informierte mich die UFA-Bäckerin. Aber immerhin, für Teigwaren war gesorgt. Auch der Eierhändler, den ich gerne dem Spreewald zuordne, weil er so gute Gurken hat,war nicht zu sehen. Das Fehlen des Landsmanns sorgte dafür, dass die Redaktionsmitglieder während ihrer Arbeit keine spirituellen Getränke hatten. Wer weiß, wie diese Zeitung wird!

Das Bild bei dem benachbarten Edeka wunderte mich dann nicht. Da standen die üblichen Marktkunden voller Verzweiflung am Käsestand und kauften, wie ich auch, das was eigentlich nicht so gut schmeckt.

Petras Tagebuch:

Der erste Schnee in Neukölln

Wider besseren Wissens und bereits heftig erlittener Schmerzen fahre ich nun doch wieder bei Schnee und Eis mit dem Fahrrad.

Gut, ich kann immer so argumentieren, dass ich Ängste überwinden möchte. Viele Autofahrer und Fußgänger in Neukölln haben kein Verständnis dafür und erklären mich für verrückt.
Dennoch erweitert das nicht ungefährliche Treiben meinen Erlebnishorizont. Als ich zu einem Termin in den schönen Süden des Bezirks radelnderweise unterwegs war, schlitterte ich nicht schlecht durch den Norden Neuköllns.
Auf Kopfsteinpflaster mit Glatteis zu fahren, birgt die Sicherheit eines Sturzes in sich. Auf den Gehwegen war die Situation zwar nicht besonders gut, jedoch um Längen besser als auf den Straßen.

Dagegen ließ sich die Hermannstraße, sofern ich eine Autospur in Anspruch nahm, gut bewältigen. Die Autofahrer, die mich überholen wollten, werden sicherlich nicht meine Freunde. Die Situation auf den Gehwegen dagegen stellte sich dramatisch rutschig dar.

Kaum hatte ich die Hermannstraße verlassen und tastete mich an den Britzer Damm heran, staunte ich nicht schlecht: Rad- und Fußwege waren bereits um 12 Uhr mittags komplett vom Schnee geräumt.
In Nordneukölln war nahezu kein Mensch über 60 zu sehen, denn der drohende Oberschenkelhalsbruch bei Glätte bereitet Angst und lässt ungeahnte Organisationstalente wach werden, um das leibliche Wohl zu sichern.
Dagegen war im Süden, wegen der geräumten Wege, Betriebsamkeit der Bewohner zu be­obachten. Ob mit oder ohne Rolli, Jung und Alt waren auf den Beinen und gingen ihren Geschäftigkeiten nach.
Für mich war klar, dass es sich im Süden sicherer leben lässt. Ich will da zwar nicht wohnen, aber irgendwie rutscht man da weniger.

Petras Tagebuch

Hunger

Umziehen ist schrecklich. Voller Freude auf die tollen Büroräume der Kiez und Kneipe vergaß ich die bevorstehenden Widrigkeiten. Die Technik, klar, funktioniert erst mal nicht so richtig. Auch die Feststellung, dass die Schillerpromenade ein einziges Funkloch ist, erleichtert die Arbeit nicht. Das hängt mit dem ehemaligen Flughafen Tempelhof zusammen. Die Anflüge wären durch einen Funkturm gestört gewesen. Aber auch dafür wird es eine Lösung geben.

Aber die Unstellung ist furchtbar anstrengend. Daran gewöhnt, bei Hunger schnell eine Kleinigkeit zu kochen oder den Kühlschrank zu plündern, entsteht im neuen Büro ein Loch. Im Magen. Und da der Zulauf im Büro doch größer als erwartet ist, wird das Loch ignoriert. Ich hätte mir ja Proviant mitbringen können. Eine harte Strafe für meine Vergesslichkeit.

Mit der Zeit werde ich im Gespräch unkonzentriert, ertappe mich dabei, wie sich Gedanken an Rouladen, Eintöpfe, Steaks, Gemüse und diverse Desserts einschmuggeln. Heimlich beginne ich, am Computer mir Leckereien auf den Bildschirm zu zaubern, was meinen Zustand nicht verbessert. Ich wundere mich nur darüber, wie ich mich selbst foltere.
Dann aber wird es Zeit für mich, es wartet noch ein Termin. Vorher noch schnell in eine Bäckerei hineigehuscht, um noch eine Kleinigkeit zu essen.

Das allerdings war ein grober Fehler. Mit den opulenten Fantasien im Kopf über wohlschmeckende Köstlichkeiten, hatte das Angebot im Geschäft nun gar nichts zu tun. Ich konnte mich nur zwischen schlecht und schlecht entscheiden. Die Zeit rannte und ich bin immer pünktlich. Und es war schlecht. Es war so schlecht, dass ich nach einem Bissen in das Getreideprodukt, der Verkäuferin den Rest zurück gab und mein Erstaunen darüber äußerte, dass so etwas tatsächlich gekauft wird.

Nie wieder werde ich meinen Proviant vergessen.

Petras Tagebuch

Petra träumt von Thermoskannen

Ein besonderes Verhältnis habe ich zu Thermoskannen. Schon viele befanden sich in meinem Besitz, jedoch erlitten alle ein und dasselbe Schicksal. Auf irgendeinem Ausflug ließ ich sie im Wald stehen oder vergaß sie in einem Veranstaltungsraum, verlor sie während des Fahrradfahrens oder in der Bahn. Das war mir auf die Dauer zu teuer und ich beschloss, die jeweilige Gastronomie zu unterstützen und dort meinen Kaffee oder Tee zu trinken. Wieder hatte ich einen Ausflug geplant und trotz intensiven Suchens in meiner Wohnung fand ich keine Thermos­kanne. Wie denn auch, wenn ich sie doch verloren hatte. Aber ich hätte mir schon eine gewünscht. Während der darauffolgenden Nacht hatte ich einen Traum. Meine Freunde und Bekannten aus weit zurückliegenden Jahren besuchten mich an einem abgesprochenen Tag. Ich vermute, dass es ein Geburtstag gewesen sein muss. Alle brachten mir eine Thermoskanne mit. Da gab es bunte, welche mit Blümchen, die traditionelle Blechkanne, die lila Kaffeekanne, die unpraktische, aber schöne Designerkanne. An Größen, Farben und Formen blieb kein Wunsch offen. Ich gab ihnen ihre Bestimmung: die eine für den schwarzen Tee, die nächste für Kaffee, Zitronentee, Früchtetee, Schafgarbentee, Kakao. Beim Aufwachen wunderte ich mich zwar, machte mich jedoch gleich auf den Weg in die Küche, in der im Traum die Thermoskannen auf dem Tisch aufgestellt waren. Was ich sah, war die bittere Realität, dass Träume höchstens mit Wünschen zu tun haben. Natürlich standen dort keine Thermoskannen, nur ein voller Aschenbecher und ein noch nicht fertig gelesenes Buch.