Kommentar von Michael Fleck
Es gibt sie, die guten Dinge inmitten des Corona-Alltags. Dinge, die Grund zur Hoffnung und Vorfreude geben. Sie wohnen jeder Krise inne, meist verborgen, doch sie gehören dazu. Der absolute Gegensatz in Zeiten größter Verunsicherung, wie zwei sich gegenseitig bedingende Pole. Die Frage, ob man in schlechten Zeiten das Positive überhaupt betonen darf oder man damit Betroffenen zu nahe tritt, ist sicherlich diskutabel. Die nächtliche Ruhe in der sonst so lauten Großstadt, ein stärkeres Bewusstsein für das wirklich Wichtige, Nachbarschaftssolidarität – dürfen wir die positiven Begleiterscheinungen genießen oder sollten wir uns vielmehr darüber ärgern, dass es erst einer Pandemie bedarf, bevor sie zu Tage treten? Ist die viel zitierte »Corona-Entschleunigung« ein Segen oder nur ein privilegiertes Phänomen derjenigen, die schon vor der Krise eine große Wohnung hatten?
Sicher scheint jedenfalls zu sein, dass wir als Gesellschaft erst sehr nah am Rande des Abgrunds stehen müssen, bevor wir beginnen, unser Verhalten zu hinterfragen. Was das Kollektiv nicht am eigenen Leib erfährt, rutscht erst einmal ziemlich weit nach hinten auf der To-Do-Liste. Daraus lässt sich ableiten, dass schwierige Zeiten immer auch Gelegenheiten bieten, oder besser gesagt, Chancen zur Verbesserung. Dort, wo beispielsweise nun Viele schmerzlich erfahren, wie sehr ihnen ein spontaner Konzert- oder Kinobesuch fehlt, entsteht automatisch Empathie mit den Kulturschaffenden, die momentan ohne Einkünfte dastehen. Gleichzeitig werden auf höheren Ebenen diejenigen Stimmen leiser, welche lange behaupteten, die Millionenhöhe von Managersalären legitimiere sich durch den hohen Grad an gesellschaftlicher Verantwortung, welche Vorstandsmitglieder stets mit sich herumtrügen. Oder, dass die Bezahlung von Arbeitskräften im Gesundheits- und Pflegesektor nicht allein von Angebot und Nachfrage abhängen dürfe, da Gesundheitsversorgung ein existentielles Gut ist. Was innerhalb der Bevölkerung im Argen liegt, wird eben besonders dann sichtbar, wenn Selbstverständliches ins Wanken gerät und es notwendig ist, zusammen an einem Strang zu ziehen. Sich jedoch ausschließlich darüber zu erfreuen, dass die Krise uns an mancher Stelle den Spiegel vorhält, reicht allein gewiss nicht aus.
Weitere Schritte müssen folgen, um neu erkannte Werte langfristig zu erhalten. Darum behaupte ich: Doch, es gibt das Richtige im Falschen – aber nur solange wir die positiven Begleiterscheinungen der Katastrophe als gemeinsamen Antrieb zur Neugestaltung verstehen.
mf