Bezirksbürgermeister Hikel im Gespräch

Interview mit Martin Hikel über geplante Hilfsmaßnahmen und den Status Quo in Zeiten von COVID-19

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KuK: Wie kann die Wirtschaftsförderung Gewerbetreibende und freischaffende Künstler, die durch die Schließung ihrer Geschäfte oder durch den Ausfall von Gagen in finanzielle Not geraten, unterstützen?
Hikel: Die Wirtschaftsförderung sammelt und strukturiert alle Informationen auf ihrer Homepage und ist auch telefonisch erreichbar. Da geht es um Beratung zu Strategien, um Kurzarbeit, Soforthilfen und vieles mehr.
Unser Projekt »lokale Ökonomie« berät Gewerbetreibende und Selbstständige in »Webinaren«, weil wir zurzeit natürlich keine persönliche Beratung machen können. Wir haben das gesamte Angebot auf Online-Möglichkeiten umstrukturiert, und das wird auch gut angenommen.

KuK: An wen können sich in Not geratene Gewerbetreibende und Soloselbständige wenden?
Hikel: Die erste Stelle ist wie gesagt unsere Wirtschaftsförderung beim Bezirksamt und die Beratungsangebote des Projektes »Lokale Ökonomie« dort – das findet sich alles unter www.unternehmen-neukoelln.net. Unser Team der Lokalen Ökonomie macht übrigens die Beratung auch auf Arabisch.
Die Investitionsbank Berlin (IBB) ist jetzt mit den Soforthilfen für kleine Unternehmen an den Start gegangen, auch dort gibt es online mittlerweile umfassende Beratungsangebote. Als Soforthilfe gibt es 5.000 Euro, für größere Unternehmen wie Clubs sind Kredite bis zu einer halben Million vorgesehen.

KuK: Wie stehen Sie zu der Idee eines zeitlich begrenzten bedingungslosen Grundeinkommens?
Hikel: Das ist eine charmante Idee, die im Kern vor allem Neuköllner Künstler*innen, Soloselbstständigen und anderen helfen soll. Wir können uns dazu aber keine langen Debatten leisten, sondern es geht jetzt darum, so schnell wie nur möglich allen zu helfen, deren berufliche Existenz auf dem Spiel steht, die vielleicht nicht wissen, mit welchem Geld sie in zwei Wochen einkaufen gehen können. Und das geht am schnellsten, wenn man die Instrumente nimmt, die da sind: Soforthilfen für Kleinunternehmer und Selbstständige, Kurzarbeit für die hunderttausende Menschen, die gerade nicht arbeiten können oder eben die Kredite für Clubs und größere Gewerbe. Das kommt schneller bei den Menschen an, als ein Grundeinkommen. Wichtig ist nur, dass die Mittel jetzt auch ausgeschüttet werden. Jeder in Politik und Verwaltung, vom Bezirksamt bis zum Bundeskanzleramt, tut gerade alles um zu helfen.
Sobald die Hilfen fließen müssen wir schauen, ob das ausreicht und wo man nachbessern muss. Nur 67 Prozent des Nettoeinkommens sind für Alleinerziehende, die eh schon wenig haben, verdammt knapp.

KuK: Ist Ihr Amt personell für diese Arbeit gerüstet?
Hikel: Ja, auch wenn die Situation natürlich für uns wie für alle so nicht vorstellbar war. Wir stocken permanent das Gesundheitsamt mit Mitarbeitenden aus anderen Bereichen auf, da gibt es große Solidarität.
Viele Dienstleistungen müssen wir natürlich streichen. Das wird zum Beispiel beim Bürgeramt deutlich, wo nur noch die wichtigsten Dinge gemacht werden können – zum Beispiel die Papiere, damit Pflegekräfte oder LKW-Fahrer so schnell wie möglich arbeiten können. Wir haben in kürzester Zeit den Notbetrieb geplant und umgesetzt. Insgesamt stelle
ich viel Solidarität und Empathie auch bei unseren Mitarbeitenden fest, das ist toll.

KuK: Wie wird überwacht, dass die erlassenen Verordnungen eingehalten
werden?
Hikel: Das machen Polizei und Ordnungsamt gemeinsam. Alleine unser Ordnungsamt überprüft über 500 Betriebe am Tag und überwacht die Regeln für alle. Insgesamt haben es mittlerweile nicht nur die Neuköllner*innen verstanden, sondern auch die Gewerbetreibenden. Das hier ist kein Spaß,
sondern sehr ernst. Hier steht das Leben von vielen Tausenden, von Familienmitgliedern und Freunden, auf dem Spiel.

KuK: Wie läuft die politische Arbeit weiter, wenn alle Sitzungen ausfallen?
Hikel: Das werden wir sehen müssen, wenn die Einschränkungen über Ostern hinausgehen. Bislang wurden alle Sitzung der BVV abgesagt. Manches lässt sich über Telefonkonferenzen regeln, aber auf lange Sicht brauchen wir natürlich eine entscheidungsfähige BVV. Das kann man lösen, indem sich die Fraktionen darauf einigen, dass nicht alle teilnehmen wie in manchen Landtagen, aber die Mehrheitsverhältnisse bestehen bleiben.

KuK: Wie können Menschen unterstützt werden, die bisher auf die Tafeln angewiesen waren und die jetzt nicht mehr wissen, wie sie an ausreichend Nahrungsmittel kommen?
Hikel: Einerseits gibt es unglaublich viel Solidarität der Neuköllner*innen, etwa durch die Gabenzäune. Da hängen Leute Lebensmittel hin, die dann von denen, die sie brauchen, mitgenommen werden können. Wir arbeiten gerade gemeinsam mit unseren Kiezhausmeistern, mit der AWO und der Tafel an einer Lösung, wie wir die vorhandenen Lebensmittel aus den Supermärkten per Lastenrad direkt zu den Menschen bringen können – also quasi eine »Tafel auf Rädern«. Auch die »Superarmen« und viele andere sind engagiert dabei und helfen mit. Und mit dem Neuköllner Engagementzentrum haben wir ein tolles Team, das die große Unterstützung von vielen Menschen koordiniert.

KuK: Was möchten Sie den Neuköllnern gerne noch sagen?
Hikel: Neukölln zeigt gerade wieder einmal, was gelebte Solidarität konkret bedeutet. Bürger*innen und Unternehmen bringen sich ein, helfen schnell wo immer es geht. Diese Krise wird unsere Gesellschaft sicherlich verändern. Ich wünsche mir, dass wir uns diese Solidarität erhalten können und für unseren Bezirk gemeinsam etwas Gutes daraus machen. Das hier ist noch lange nicht vorbei, da müssen wir uns nichts vormachen. Deshalb heißt es nun: kühlen Kopf behalten, so wenig Kontakt wie möglich, so viel wie nötig und im Sinne der Solidarität auf Hamsterkäufe verzichten. Außerdem: wenn man sich gerade ärgert, dass man die Grünanlage, den Bolzplatz oder Spielplatz mit seinen Lieben nicht wie gewohnt nutzen kann, bitte nicht vergessen: Das alles rennt nicht weg und jetzt verzichtet man für den guten Zweck. In diesem Sinne bleiben Sie gesund und sorgen Sie dafür, dass wir gesund bleiben.