Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr. 99 – Sonnabend, 3. Mai 1919
Tempelhof gegen den Flughafen auf dem Tempelhofer Feld. Die Tempelhofer Gemeindevertretung beschäftigte sich mit einem Dringlichkeitsantrag des Schöffen Jung, den Gemeindevorstand zu ersuchen, mit allen Kräften und Mitteln der geplanten Anlegung eines Flughafens für den Postdienst auf dem östlichen Teile des Tempelhofer Feldes energisch entgegenzutreten. Bürgermeister Wiesener vertrat den Standpunkt, daß ein großer Flughafen auf dem Tempelhofer Felde nicht angebracht sei. Der östlich der Tempelhofer Chaussee gelegene Teil des Feldes müsse den Großberlinern als Erholungsstätte erhalten bleiben, sei es in Gestalt eines größeren Volksparkes oder als Spielplätze in großem Maßstabe. Wenn auf dem Tempelhofer Felde Schuppen, Reparaturwerkstätten und Benzinstationen errichtet würden, könne das Wohnen in Tempelhof sicherlich keine reine Freude mehr sein. Der Anlegung eines Hafens könne man daher nur mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Er sei dankbar für die Anregung und werde dem Antrage gemäß vorgehen und die Angelegenheit im Verband Groß=Berlin zur Sprache bringen, der sicherlich auch das größte Interesse daran haben werde, daß Feld für genügend große und freie Erholungsplätze vorzubehalten. Die Gemeindevertretung stimmte hierauf einstimmig dem Dringlichkeitsantrage zu.
Nr. 99 – Sonnabend, 3. Mai 1919
Maifeier. Feierliche Stille auf den Straßen, ohne Wagenverkehr, ohne Straßenbahngeräusche. Hier und da wehten rote Fahnen von den Häusern. Kinderfeiern fanden am Vormittage statt mit anschließendem Spaziergang durch den Ort; abends feierten die Familien. Die Mehrheitssozialisten waren bei A. Raddatz, die Unabhängigen bei Köhler im Buschkrug versammelt. Die Festprogramme enthielten Gesänge, Rezitationen, Vorträge und Lieder zur Laute. Beide Feiern hatten Massenbesuch; ganz besonders die der Mehrheitssozialisten.
Nr. 99 – Sonnabend, 3. Mai 1919
Grober Unfug. Es mehren sich bedauerlicherweise die Fälle, daß infolge Verübens von grobem Unfug durch Kinder auf den Straßen (Abbrennen von Feuerwerkskörpern und Knallpatronen, Abreißen von Zaunleiten und Herunterreißen von Plakaten an den Litfaßsäulen) Personen= und Sachschaden angerichtet wird. Es wird darauf hingewiesen, daß die Eltern der Kinder für einen solchen Schaden ersatzpflichtig gemacht werden können.
Nr. 108 – Mittwoch, 14. Mai 1919
Die teilweise Entfernung der Straßenbäume in den beiden Hauptstraßenzügen Neuköllns, der Berliner, Berg= und Hermannstraße, die mit ihrem frischen Grün eine Zierde gerade für das Neuköllner Stadtbild bieten, ist zur Herstellung der Baugrube für die Kanalisationsarbeiten sowie zur Durchführung der Vorarbeiten für den Bau der Untergrundbahn eine bittere Notwendigkeit. So nimmt z. B. an der Stelle zwischen der Thomas= und Steinmetztstraße die künftige Untergrundbahn die volle Breite des Fahrdamms und eines Teiles des Bürgersteiges ein. Daß die Bauverwaltung in jedem Falle in eine Prüfung darüber eintritt, ob die Bäume im Interesse unserer Bürgerschaft erhalten bleiben können, ist eine Selbstverständlichkeit, die wohl kaum einer besonderen Betonung bedarf.
Nr. 109 – Donnerstag, 15. Mai 1919
Gegen das Plakatunwesen. Das Anschlagen, Ankleben und Anheften von Plakaten an Häuser, Denkmäler, Zäune und sonstige nur denkbaren Flächen hat einen derartigen Umfang angenommen, daß es zu einer unerhörten Plage geworden ist. Der Polizeipräsident wird deshalb in allernächster Zeit gegen das Plakatunwesen energisch und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln vorgehen. Für Proteste, Aufrufe und andere Kundgebungen stehen die zahlreichen Anschlagsäulen zur Verfügung. Hoffentlich wird man auch in Neukölln dem Berliner Beispiel folgen, da hier genau das gleiche Unwesen eingerissen ist.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1919 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Der 1. Mai
Vom Kampftag der Arbeiterklasse zum Feiertag
Der Maifeiertag geht auf den 1. Mai 1886 zurück. Damals traten in den USA Arbeiter in einen mehrtätigen Generalstreik mit dem Ziel, den Achtstundentag durchzusetzen. Üblich waren zur Zeit der Industrialisierung bis zu 14 Stunden, weniger als zehn Stunden arbeitete fast niemand.
Doch die Lage eskalierte. Am dritten Tag des Generalstreiks kam es während einer Kundgebung zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Auslöser war eine Splitterbombe, die auf Polizeibeamte geworfen wurde. Es gab viele Tote und Verletzte.Nach Deutschland gelangte der 1. Mai über den Internationalen Arbeiterkongress vom 14. bis zum 21. Juli 1889 in Paris. Neben der Gründung der »Zweiten Sozialistischen Internationale« wurde der 1. Mai als Tag internationaler Arbeiterkundgebungen festgelegt. Als erste deutsche Partei beschloss die SPD auf dem Parteitag 1890, den 1. Mai als »Feiertag der Arbeiter« festzulegen.
Im November 1918 wurden Gewerkschaften anerkannt und der Acht-Stunden-Tag vereinbart, eine der wichtigsten Forderungen der Mai-Demonstrationen. Am 15. April 1919 legte die Weimarer Nationalversammlung den 1. Mai als Feiertag fest – doch nur für das Jahr 1919.
Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und politische Straßenkämpfe bildeten den Hintergrund der Maifeiern Ende der zwanziger Jahre. Aus Furcht vor Ausschreitungen verbot der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin, Karl Zörgiebel, Demonstrationen am 1. Mai 1929. Die KPD widersetzte sich und rief zu friedlichen Demonstrationen auf. Es kam zu Ausschreitungen, bei denen die Polizei in die Menge schoss. Bis zum 3. Mai starben 30 Menschen.
Erst unter dem NS-Regime wurde der 1. Mai 1933 schließlich als »Tag der nationalen Arbeit« zum gesetzlichen Feiertag ausgerufen – das nationalsozialistische Propagandaspektakel hatte aber nichts mehr gemein mit dem »Kampftag der Arbeiterbewegung« von ehedem.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb der 1. Mai Feiertag und wurde wieder in »Tag der Arbeit« umbenannt.
mr