Über Hype und Verdrängung
»Time Out«, ein Stadt-Magazin, erschien 1968 in London zum ersten Mal. 50 Jahre später agiert das Blatt nahezu weltweit. Es will seine Leser gut recherchiert mit den neuesten und besten ortsbezogenen Informationen zu kulturellen Tipps, kulinarischen Trends, angesagten Veranstaltungen und Ausstellungen versorgen.
2018 veröffentlichte es in der Septemberausgabe eine Liste mit den »50 coolest neighbourhoods in the world«, die 50 besten Kieze der Welt. Ganz vorn auf Platz sieben dabei: Neukölln! Und über Neukölln heißt es darin: »Schaut an Graffiti und Schmutz vorbei, und ihr werdet ein Viertel erleben, das sich ständig neu erfindet.«
Zusammengestellt wurde die Liste von eigenen Autoren und Korrespondenten, aber auch die Beurteilung von 15.000 Menschen aus 32 Städten auf der ganzen Welt, flossen mit in das Ranking ein. Die »Time Out« Macher überzeugte die Unabhängigkeit, Vielseitigkeit und Vitalität unseres Szenebezirks; die Kunst- und Gastroszene. Extra erwähnt wurden das »Paulinski Palme« in Rixdorf, der türkische Wochenmarkt am Maybachufer, die »Griessmühle«, das Tempelhofer Feld, das kostenlos jedem offen steht, sowie der »Hüttenpalast«, in dem zentral im Kiez, auf einer 600 Quadratmeter großen Fabriketage, kostengünstig in vintage Caravans übernachtet werden kann.Soll oder kann sich Nord-Neukölln darüber wirklich freuen, in einem internationalen Vergleich als attraktives Top Reiseziel gelistet zu werden? Eine ständig wachsende Popularität beschleunigt hier im Gegenzug auch die Gentrifizierung, da dann langfristig über Mietsteigerungen immer mehr Alteingesessene aus ihren angestammten und vertrauten Quartieren verdrängt werden. Und nicht jeder, außer vielleicht die Gastronomen, freut sich über die stetig zunehmende Zahl auch feierfreudiger Touristen.
Längst ist der Tourismus auch in Berlin ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch zunehmend kollidieren die wirtschaftlichen Interessen dieser Branche mit den alltäglichen Bedürfnissen der Bewohner. Etwa drei Prozent der knapp zwei Millionen Wohnungen Berlins sollen bereits Ferienappartements sein, und die bringen Touristen dann in die Privatsphäre und Lebenswelten der Anwohner. Mit Touristen kann aber auch das Doppelte bis Dreifache der normalen Wohnungsmiete erzielt werden. Diesen disruptiven sozialen und ökologischen Effekt erfahren inzwischen nicht nur diejenigen, die im hippen Norden Neuköllns um die angesagtesten Hotspots herum wohnen. Auch da muss gegengesteuert werden.
rr
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