Schöne Tränke in der Scheune

Im Böhmischen Dorf wiehert leise der »Zosse«

»Zosse« bezeichnet mundartlich ein altes Hauspferd. Vielen von ihnen hat Schmiedemeister Kiel hier im Hof seit 1888 in seiner Hufschmiede die Füße stadtlauftauglich gemacht. Lange, bis in die 1950er-Jahre, wurde hier gefeuert, gehämmert und behauen. Die »Zosse« atmet noch diese Rixdorfer Handwerksgeschichte.

Cocktails am Kamin.                                                                                                                                          Foto: hlb

Unscheinbar ist der Eingang in den Hinterhof an der Richardstraße, gleich neben dem Comeniusgarten. Nach dem letzten Krieg fungierte die Adresse als Garagenhof und Autowerkstatt. Hinter dem flachen Haus, vorbei am privaten Gärtchen der Bewohner und den Garagen befindet sich das alte hohe Backsteingebäude mit den großen grünen Scheunentoren, das das Team der »Zosse« in mehrjährigem Einsatz zu einer höchst gemütlichen Bar umgebaut hat, die nun seit Mitte Juni auch wegen ihres idyllischen Biergartens einlädt.
Zeitig erkannte das Betreiberteam das Potenzial des Ortes für eine kulturelle wie gastronomische Oase. Volker Sommer zeigt bereits seit 2016 Kunst im Vorderhaus. An den letzten beiden »48h Neukölln« hat er mit diversen Projekten im Keller des Vorderhauses, auf dem Hof, im Raucherraum und in der Halle teilgenommen. Mehr Kunst, Kleinkunst und Küche »aus der Garage« sollen kommen.
Nackte Ziegelwände, Kopfsteinboden, hohe Fenster, das Holzmobiliar und geschmackvoll platzierte Einrichtungsgegenstände wie Blumentöpfe oder ein altes Radio schaffen derweil ländliche Gemütlichkeit und wecken nostalgische Dorfgefühle. Besonders der Riesenblasebalg links über dem schön illuminierten, gemauerten Kamin hinterm Tresen ist ein imposanter Hingucker. Und die ausfahrbare Leinwand hat sich schon zur Fußball-WM bewährt. Ein holzbefeuerter Kamin macht zudem ordentlich warmen Wumms, wenn’s draußen kalt wird.
Im jüngeren Anbau in der Beschlagecke ist die erwähnte Raucherlounge – mit Schreibtisch, Schreibtischlampe und alter Schreibmaschine, Bücherregal und Ledersessel humorvoll wie das noch aktive Büro eines Pferdekutschers eingerichtet.
Zu trinken gibt es Pilsner Urquell, Traunsteiner Zwickl oder ein India Pale Ale von Lemke vom Fass, je zwei weiße und rote (zumeist Bio-)Weine, Softdrinks und Säfte aller Art, insbesondere aber exquisite Cocktails wie den Whiskey Sour mit Bourbon, Zitronensaft, Eiklar und Bitters oder den El Presidente mit Rhum Arrangé, Wermuth und Shrubb. Shrubb? Fragt einfach den Berliner Barchef Paul. Ein karibischer Orangenschalenlikör. Rhum Arrangé? Mit Früchten und Gewürzen aromatisierter Rum – im »Zossen« selbst angesetzt mit Rum von der Insel Réunion im Indischen Ozean.
»Zosse« – ein Großstadtrefugium à la Rixdorf.
hlb
Bar und Biergarten Zosse, Richardstr. 37, Di – Fr ab 18, Sa/So ab 16 Uhr, #zosse.bar