Wider die Betonköpfe
Das Elternhaus, in dem ich aufwuchs, war ein ziemlich bunter Haufen. Meine Mutter war eine glühende Vertreterin der SPD, mein Vater Verteidiger der FDP, mein Bruder war überzeugt von der CDU, und meine Schwester bewegte sich links von der SPD.
Alle Familienmitglieder waren politisch und die Diskussionen laut und manchmal recht hitzig, aber wir waren am Abend in der Lage, friedlich gemeinsam am Tisch zu essen.
Das Haus war aber auch für andere Meinungen offen. Es gab Bekannte, die der KPD angehörten und dann vom Berufsverbot betroffen waren, sogar Altnazis wurden im Hause zugelassen. Auch mit denen wurde diskutiert, gestritten und hinterher aß man gemeinsam. Als 1969 Willy Brandt Bundeskanzler wurde, schmachtete meine Mutter ihn am Fernseher an. Ihr größter Wunsch war in Erfüllung gegangen. Das konnte mein Vater nicht ertragen und drohte damit, den frisch erworbenen Fernseher zu zerstören. Meine Mutter verwies darauf, dass er dann auch auf seine Sportschau verzichten müsse. Der Fernseher blieb und die Diskussionen gingen weiter.
Für diese Meinungsvielfalt und Offenheit bin ich dankbar und lebe sie so, wie meine Eltern sie mir vorgelebt haben.
Hinzu kam, dass meine Mutter evangelisch und mein Vater katholisch war. Während der Schulzeit war die Erziehung protestantisch, während der Ferien, die ich gerne bei meinen katholischen Verwandten verbrachte, musste ich emsig die Kirche besuchen und vor dem Essen beten.
Ich habe nie verstanden, wie meine Tante es hinbekam, ernsthaft zu beten, gleichzeitig der Suppe noch den letzten Schliff zu geben und uns Kinder unter Kontrolle zu halten, die nicht aufsehen durften. Als Protestantin hatte ich etwas größere Freiheiten. Ich durfte auch mal aufblicken, bekam aber sehr wohl zu spüren, dass ich eine verlorene Seele war.
Dieses ganze Durcheinander von Konfessionen und politischen Haltungen war immer von Toleranz geprägt, ansonsten hätten wir alle es gemeinsam nicht aushalten können.
Das war eine harte, aber gute Schule.
Ich wünsche meiner Enkelin und deren Eltern, diese Tradition des freiheitlichen, toleranten und demokratischen Denkens zu pflegen und weiterzugeben.
Wider die Betonköpfe und für die Meinungsvielfalt!