Süßer Köder
Fahrradfahrer und Polizei sind in der Regel kein gutes Gespann. Der Radler übertritt Verkehrsregeln, manchmal weil er meint, einen Verkehrsregelfreifahrtschein zu haben, oder weil es ihm sinnvoll erscheint, das eine oder andere Gesetz aus Sicherheitsgründen zu brechen.
Zur letzten Gruppe gehöre ich, eine Ganzjahresfahrradfahrerin. Es gibt Fußgängerampeln, die ich mit Vorliebe bei Rot überquere, um mich noch vor der Grünphase der Autofahrer links einzuordnen, damit ich den Verkehr nicht störe. Und es ist mir auch schon passiert, dass die Polizei mich genau aus diesem Grund angehalten hat. Das letzte Mal, als es mir so passierte, gab ich meine für mich einleuchtende Erklärung ab, nämlich dass ich die Ampel ganz bewusst bei Rot überquert hatte. Die Antwort war: »Wenn Sie es aus Versehen getan hätten, würde es 90 Euro kosten, so aber entsteht ja noch der Vorsatz. Da wird es aber richtig teuer.« Ich fragte dann nach, ob ich die Strafe nicht absitzen könne, denn so viel Geld hätte ich nicht. Die Polizisten versicherten mir, dass sie ihren guten Tag hätten, und ich ihnen versprechen solle, das nie wieder zu tun. Ich versprach es und war mir bewusst, dass ich gelogen hatte.
In Mitte ist mir das Gleiche auch schon passiert. Da war das Auge des Gesetzes gnadenlos. Ich musste die Strafe bezahlen.
Zurück nach Neukölln: Vor Kurzem fuhr ich durch die Karl-Marx-Straße. Die Polizei, die ich schon von Weitem sah, führte Verkehrskontrollen durch. Also hielt ich mich an die Straßenverkehrsordnung, was mir übrigens schwerfiel. Und zack, hatten sie mich wieder am Schlafittchen. Ich blieb stehen und fragte mich, was ich denn nun schon wieder falsch gemacht hätte. Jahrzehntelang war ich Autofahrerin und kenne die Regeln. Das Auto habe ich damals abgeschafft, weil ich keine Parkplätze mehr gefunden habe und die Stadt so voll war. Da war es naheliegend, aufs Rad umzusteigen. Auch technisch gab es keine Mängel an dem Rad. Darauf lege ich Wert.
»Sie haben alles richtig gemacht«, sagte der Neuköllner Polizist und übergab mir eine Süßigkeit. Ich war platt. Jetzt also belohnt die Polizei korrektes Verhalten. Das hat mir so imponiert, dass ich mich neuerdings ertappe, mit schlechtem Gewissen eine rote Ampel zu überqueren und viel gewissenhafter fahre.
Würde die Polizei häufiger belohnen, würde mich mein schlechtes Gewissen wohl gar noch zu einem korrekten Verhalten verführen.