Umstrittenes Flüchtlingslager kommt
Nicht einmal zwei Jahre ist es her, als die Bürger durch einen Volks-entscheid, der eine Bebauung des gesamten Flughafenareals dauer- haft verhindern sollte, die Pläne des Senats durchkreuzten, auf dem Tempelhofer Feld Wohnungen und eine Bibliothek zu bauen. Etwa 720.000 Berliner stimmten damals gegen die Bebauung. Am 28. Ja- nuar änderte das Berliner Abgeordnetenhaus mit Stimmen aus SPD und CDU dieses Gesetz, um den Weg freizumachen für das umstrit- tene Flüchtlingslager auf dem Tempelhofer Feld. Bis zu 7.000 Men- schen sollen hier unterkommen. Die Opposition stimmte geschlossen gegen den Antrag, aus der CDU war es lediglich der Tempelhofer Ab- geordnete Markus Klaer, der der Gesetzesänderung seine Zustim- mung versagte. Den Plänen zufolge sollen zunächst an beiden Seiten des Vorfelds auf befestigten Flächen Container oder Hallen aufgestellt werden, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden können. Dazu kommen auf dem Vorfeld eine Schule und eine Kita, Sporthallen, Sportplätze, ein Fußballplatz, eine Großküche, ein medizinisches Zentrum und eine Lagerhalle. 2019 soll das alles wieder verschwinden. Die große grüne Freifläche werde nicht angetastet, betonten die Regierungsfraktionen.
Allein, den Gegnern der Gesetzesänderung fehlt der Glaube. Das wurde sehr deutlich auf der Bürgerversammlung am 21. Januar, bei der vier Staatssekretäre versuchten, den rund 1.400 Zuhörern die Pläne der Regierung schmackhaft zu machen.
Statt der prognostizierten 12.500 Geflüchteten kamen 2015 gleich 79.000 nach Berlin, beschrieb Dirk Gerstle, Staatssekretär für Sozia- les, die derzeitige Situation. Daher gebe es keine Alternative dazu, die Kapazität in Tempelhof von derzeit 2.500 auf bis zu 7.000 Plätze zu erweitern. Christian Gaebler, Staatssekretär für Stadtentwicklung, nannte sogar 10.000 als Obergrenze.
»Wir alle wissen: Das Tempelhofer Feld ist kein Ort, an dem Flücht- linge viele Monate leben sollen«, sagte Dieter Glietsch, Staatssekretär für Flüchtlingsfragen. Aber nur so könne Obdachlosigkeit vermieden werden.
»Das hier ist die größte, schlechteste und wahrscheinlich teuerste Flüchtlingsunterkunft in Berlin«, entgegnete Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. »Auf engstem Raum drängen sich die Men- schen, schlafen in Stockbetten, notdürftig abgetrennt mit Messe-Stellwänden.« Und von Übergangslösung könne auch keine Rede sein. Tatsächlich mussten die Politiker auf dem Podium einräumen, das die meisten Bewohner dort schon seit Oktober leben. »Solche Massen- unterkünfte sind die größte Integrationsbremse, die es überhaupt gibt«, sagte dazu die Fraktionschefin der Grünen im Abgeordneten- haus, Antje Kapek.
Viele der Anwesenden gaben außerdem der Befürchtung Ausdruck, dass die Flüchtlinge lediglich missbraucht werden sollen, um das Feld gegen den Willen des Volkes doch für Investoren zu öffnen. »Erst kommen die Notunterkünfte, dann ist irgendwann das ganze Volks- gesetz hinfällig«, meinte ein Redner. Zumal das Tempelhof-Gesetz überhaupt nicht hätte angetastet werden müssen, denn eigentlich würden keine zusätzlichen Flächen gebraucht, wenn die einzelnen Module anders verteilt würden. Diese Ansicht vertrat Wilfried Wang, Leiter der Sektion Baukunst an der Akademie der Künste. »Sie aasen mit den Flächen. Wenn ich einen Entwurf dieser Art im ersten Semes- ter sehen würde, ich würde den Studenten nach Hause schicken.«
Einem Anwohner, der fragte, ob es überhaupt mit der Verfassung zu vereinbaren sei, ein Volksgesetz nach so kurzer Zeit bereits wieder zu verändern, entgegnete Gaebler kühl, selbstverständlich könne das Abgeordnetenhaus als Gesetzgeber jederzeit auch ein vom Volk eingebrachtes Gesetz ändern.
mr