Lebenshilfe für die Allerschwächsten

Kleine Erfolgserlebnisse helfen weiter

Eine Frau tut so, als betätige sie eine Kupplung und läuft mit einem lauten »Brrr« durch den Raum. Ein Mann redet ohne Punkt und Komma, keiner hört ihm zu. Eine Schönheit sitzt am Tisch, der Körper ist aber in ständiger Verkrampfung. Ein Talker, so nennen sich die Geräte, die bei der Betätigung einer Taste eine Mitteilung vom Band sprechen: »Ich habe Hunger«. Ein Betreuer bietet dem Besitzer des Gerätes ein Stück Kuchen an. »Oder möchtest du lieber eine Scheibe Brot?« Das Gerät antwortet: »Nein.« Der Besitzer braucht zu lange, um eine Antwort selbst zu formulieren.

Lebenshilfe
Mechanische Tretlaubsäge.                                                                                                                                                   Foto: fh

In der Britzer Tagesförderstätte der »Lebenshilfe« in der Straße 614 treffen Menschen mit schwersten geistigen Behinderungen zusammen. Sie sind außerstande, in Behindertenwerkstätten zu arbeiten und bedürfen der ganz besonderen Zuwendung. Teilweise waren diese Menschen über Jahrzehnte Patienten in der Psychiatrie. Eine Diagnose, welche Schäden ursprünglich vorhanden waren und was die Psychiatrie angerichtet hat, bleibt im Verborgenen. Alle Altersgruppen sind unter den 37 zu betreuenden Menschen vertreten. Für die Mitarbeiter der Tagesförderstätte sind die schwerstbehinderten Menschen eine tägliche Herausforderung. Ergotherapeuten und Psychologen benötigen großes Einfühlungsvermögen, um die Bedürfnisse ihrer Klienten zu erfassen. Sie befinden sich in einem ständigen kreativen Prozess bei der Umsetzung ihrer Ideen. Erreicht wird durch ihre engagierte Arbeit die Förderung jedes einzelnen, ent- sprechend seiner Behinderung.
In den Werkstätten können interessierte Gäste bestaunen, was alles möglich ist. Eine Säge mit zwei Griffen. »Der eine kann nur ziehen, der andere nur schieben« erklärt der Ergotherapeut. »Aber zu zweit gelingt es, ein Stück Holz zu zersägen«. Alle Gerätschaften in der Holzwerkstatt werden manuell bedient. Elektrische Maschinen sind für die Klienten zu gefährlich. Die Laubsäge ist auch eine Sonderanfertigung. Nach dem Vorbild einer Nähmaschine wird die Säge per Pedal mit Fußantrieb betrieben. Ist dem Säger das zu schwierig, muss ein Helfer das Rad drehen. Ein überdimensionierter Nähmaschinenfuß hilft bei der Führung des Holzes. Mit solchen Gerätschaften lassen sich Erfolgserlebnisse erzielen.
Ähnlich verhält es sich in den anderen Werkstätten: Mit einfachsten Mitteln werden die Voraussetzungen in der Keramikwerkstatt geschaffen, die die Klienten in die Lage versetzen, schöne Dinge herzu- stellen. Ein besonderer Verkaufsschlager ist der Weihnachtsschmuck, der auch auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt verkauft wird. Zum Sortiment gehören aber auch Schalen, Schmuck und Tassen. Und die Frau, die so gerne kuppelt und Auto fährt, arbeitet nun an einer Näh- maschine und macht ihre Sache hervorragend.
Sicht- und hörbar ist im Speisesaal der tägliche Speiseplan auch ein Beweis für die Bemühungen der Mitarbeiter, den Behinderten gerecht zu werden. An der Wand befindet sich der Speiseplan in Schrift auf einem Zettel. Für diejenigen, die nicht lesen können, hängen die Fotos des aktuellen Angebots aus. Für die Tagesbesucher, die weder lesen noch Bilder erkennen können, gibt es einen Klingelknopf, der bei Betätigung die Speisefolge des Tages über Lautsprecher bekannt gibt.
Die »Lebenshilfe« ist in den 90er Jahren, nach Fertigstellung des neuen Kiezes in Britz, unter besten Voraussetzungen eingezogen. Ein Gymnastikraum mit behindertengerechten Geräten, ein Raum für Klangschalentherapie und ein Entspannungsraum mit Lichttherapie und weißen Möbeln bieten einen Komfort für die Schwerstbehinderten, der heute bei einer Neuausstattung undenkbar wäre. Dank guter Pflege befindet sich das Haus in einem Topzustand. 

ro