Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

NK_Tagblatt-KopfNr. 282 – Donnerstag, 2. Dezember 1915
Ueber die Mängel der Müllabfuhr wird schon seit längerer Zeit in Hausbesitzerkreisen lebhafte Klage geführt. Die Abholung der Müllkästen erfolgt sehr unregelmäßig, so daß auf den Höfen oft hohe Müllhaufen liegen, was den Mietern Anlaß zu Beschwerden gibt. An diesen Uebelständen tragen aber, wie uns versichert wird, die Wirtschaftsgenossenschaft Neuköllner Grundbesitzer und ihre Fuhrherrn keine Schuld. Trotz Zahlung enormer Wochenlöhne ist infolge des herrschenden Arbeitermangels kein genügendes Personal zur Müllabfuhr zu haben. Vielfach ist man auf junge Arbeiter angewiesen, die jedoch, sobald sie genügend Geld im Portemonnaie haben, die Arbeit liegen lassen, um sich einen vergnügten Tag zu machen. So kommt es, daß fast alle Wochen neues Personal eingestellt werden muß, das sich natürlich immer erst wieder einarbeiten muß. Bevor dies aber geschehen ist, geben die Arbeiter meist die ihnen nicht zusagende Beschäftigung schon wieder auf. Durch diese Zustände, gegen welche es leider keinen Schutz gibt, entsteht die Müllkalamität. Hausbesitzer und Mieter müssen daher in dieser schwierigen Zeit Nachsicht üben. Die beteilig­ten Faktoren sind eifrig bemüht, nach Kräften für Abhilfe der jetzigen Mißstände zu sorgen.

Nr. 286 – Dienstag, 7. Dezember 1915
Ein schwerer Exzeß wurde in der Nacht auf Sonntag in der Hermannstraße von einer Horde von 10 jungen Burschen verübt. Wir erfahren darüber folgendes: Kurz nach 1 Uhr kamen in der Hermannstraße etwa 10 mindestens im Alter von 18 bis 20 Jahren stehende Burschen aus einem Lokal, die auf der Straße sofort einen Heidenlärm zu vollführen begannen, indem sie johlten, schrien und mit Stöcken gegen Zäune und Hauswände schlugen. Der dort patrouillierende Schutzmann Matthe vom 10. Polizeirevier, ein äußerst ruhiger und besonnen auftretender Beamter, forderte die Lärmenden in angemessener Weise auf, sich ruhig zu verhalten, was die Rowdies damit beantworteten, daß sie ohne weiteres über den Schutzmann herfielen, ihn rücklings zu Boden rissen und ihn in der rohesten Weise mißhandelten. Der Säbel, dessen der Angegriffene sich zu seiner Verteidigung zu bedienen versuchte, wurde ihm sofort aus der Hand gerissen. Dem wehrlos am Boden liegenden Beamten wurde neben anderen Verletzungen ein schwerer Messerstich oberhalb des rechten Auges zugefügt. Es wäre ihm wohl noch übler ergangen, wenn nicht jetzt ein zweiter Schutzmann zur Hilfe herbeigeeilt wäre, bei dessen Erscheinen die Bande auseinanderstob, worauf die Burschen im Dunkel der Nacht verschwanden. Doch gelang es dem herbeieilenden Schutzmann, den Rädelsführer, den taubstummen 33jährigen Lederarbeiter Karl Schubert aus der Jägerstr. 67 zu verhaften. Die sogleich von dem Überfall in Kenntnis gesetzte Kriminalpolizei ermittelte dann noch im Laufe der Nacht die übrigen an dem Exzeß Beteiligten und brachte sie nach dem hiesigen Polizeipräsidium, wo gestern vormittag ihre Vernehmung stattfand.

Nr. 301 – Freitag, 24. Dezember 1915
Der eiserne Groschen kommt. Dem eisernen Sechser wird nun auch der vielfach dringend herbeigewünschte eiserne Groschen folgen. In der letzten Sitzung des Bundesrats wurde der Vorlage, betreffend Ausprägung von Zehnpfennigstücken aus Eisen zugestimmt.

Nr. 301– Freitag, 24. Dezember 1915
Seid menschlich – auch gegen Karpfen! Der Berliner Tierschutzverein richtet an die Hausfrauen die dringende Bitte, sie mögen die Karpfen nicht dadurch quälen, daß sie diesen Fischen so lange den Leib drücken, bis Rogen oder Milch zum Vorschein kommt. Im übrigen wird ein nicht gänzlich verrohter Mensch jedes Tier vor der Zubereitung töten. Bei den Fischen (einschließlich Aal), kann man den Tod durch wuchtige Hammer= und Stockschläge auf den Schädel herbeiführen.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1915 übernommen. Das Original befindet sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Eisernes Kriegsgeld

Der Kampf gegen die Zahlungsmittelknappheit

10pfennig_sw
Eiserner Groschen.                                                                                                                                                     Foto: historisch

Im Ersten Weltkrieg hatten alle Kriegsparteien einen hohen Zah- lungsmittelbedarf. Der Sold wurde damals bar ausbezahlt. Schon die Mobilisierung bei Kriegsbeginn hatte den Geldbedarf des Staates sprunghaft gesteigert. Die von der obersten Heeresleitung in den ersten sechs Mobilmachungstagen benötigten 750 Millionen Mark führten zu einer Knappheit beim Kleingeld bis zum FünfMark-Stück, obwohl alle Münzstätten auf Hochtouren arbeiteten.
Als die kriegswichtigen Rohstoffe Kupfer und Nickel knapp wurden, stellte das Reich 1915/16 die Kupfer-Nickelprägungen bis zum Zehn-Pfennig-Stück ein und gab stattdessen Münzen aus Eisen, Zink und Aluminium heraus. Doch die produzierten Münzmengen deckten den Bedarf nicht, zumal die Bevölkerung das alte, nicht außer Kurs gesetzte Kupfergeld hortete.
Daneben horteten auch etliche Stadtverwaltungen und Behörden Kleingeld in Millionenhöhe, um ihren eigenen Zahlungsverpflich-tungen nachkommen zu können.
Waren unmittelbar nach Kriegsbeginn noch Gold- und Silbermünzen in Umlauf geblieben, so wurden ab 1916 zunächst die Silbermünzen aus dem Verkehr gezogen, um ebenfalls zur Erzeugung kriegswich- tiger Rohstoffe eingeschmolzen oder zur Bezahlung von Importen genutzt zu werden. Ähnlich verhielt es sich mit den Goldmünzen, die von der Bevölkerung im Rahmen der Sammelaktion »Gold gab ich für Eisen« an den Staat abgegeben wurden. Zum Ausgleich für die aus dem Umlauf gezogenen Gold- und Silbermünzen wurde im letzten Kriegsjahr Papiernotgeld ausgegeben.

mr