Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

NK_Tagblatt-KopfNr. 103 – Dienstag,  04. Mai 1915
Volkstümliche Sprache in Neukölln. Unter dieser Spitzmarke berichtete die »Voss. Ztg.« folgendes: Bei einem Ferngespräch soll ein Beamter des Königl. Amtsgerichts das Wort »anquatschen« gebraucht haben. Da darin ein unpassender Ausdruck gefunden wurde, reichte man beim Amtsgericht Beschwerde ein, worauf folgende Antwort einging: »In Sachen G. u. Sch. Zwangsverwaltung teilen wir Ihnen auf Anordnung des Königl. Amtsgerichts folgendes mit: Da der Zwangsverwalter bestreitet, die angegebene Äußerung »anquatschen« getan zu haben, bin ich nicht in der Lage, irgend etwas zu veranlassen. Uebrigens ist »anzuquasseln« hier eine volkstümliche Bezeichnung für »telephonisch anrufen«, und man nennt den Fernsprecher auch »Quasselstrippe«. Ich hätte übrigens auch weiter nichts veranlaßt, wenn die Sache erwiesen wäre, als dem Verwalter gesagt, er solle sich bei möglicherweise empfindlichen Leuten nicht so volkstümlich ausdrücken. Unterschrift: unleserlich.

Nr. 111 – Donnerstag, 13. Mai 1915
Die Maikäferbörse ist eröffnet. Augenscheinlich vermag aber das Angebot die Nachfrage nicht zu decken, und so kommt es, daß die allgemeine Kriegsteuerung sich auch auf die Maikäfer erstreckt. Wo sind die schönen Zeiten geblieben, als die Jungen auf der Straße sangen:

Käbermai, Käbermai,
For ‚ne Nadel jiebt
et drei!

Schon seit mehreren Jahren sind die bei unserer Jugend so überaus beliebten braunen Gesellen im Handel nur für bare Münze zu haben. Immerhin gab es für einen Pfennig gewöhnlich zwei »Schornsteinfeger« oder »Müller«, während die »Rotspargel« pro Stück mit 1 Pf. bezahlt werden mußten. In diesem Kriegsjahre aber sind die Preise enorm in die Höhe gegangen. Zwei gewöhnliche »Schornsteinfeger« kosten heute fünf deutsche Reichspfennige. Sonst lag das ganze Maikäfergeschäft lediglich in den Händen unserer Schuljugend; in diesem Jahre treiben aber auch verschiedene Vogelhändler einen schwunghaften Handel mit den vielbegehrten Käfern, worauf wahrscheinlich auch die »unerhörte Teuerung« dieses Artikels, die unsere Kleinen in nicht geringe Betrübnis setzt, zurückzuführen sein dürfte.

Nr. 117 – Freitag, 21. Mai 1915
Pfingstfahrten und Pferdeschutz. Der Leipziger Tierschutzverein, Johannisgasse 14, schreibt uns: »Wir möchten in diesem Jahre alle Pfingstreisenden, die ihre Ausflüge zu Wagen unternehmen, die Schonung der Pferde ganz besonders ans Herz legen. Wenn dies schon in normalen Zeiten gerechtfertigt ist, so dürfte es bei den jetzigen Verhältnissen umso notwendiger sein. Die besten Pferde sind für den Kriegsdienst ausgemustert worden. Die zurückgebliebenen sind meist alte, minderwertige Tiere, deren an sich schon mangelhafte Leistungsfähigkeit durch den Hafermangel noch mehr herabgesetzt worden ist. Die Fahrgäste werden deshalb gebeten, den verminderten Kräften der Zugtiere Rechnung zu tragen und bei steilen und schlechten Wegen auszusteigen. Auf solchen Wegen bedeutet jede Person weniger im Wagen eine Erleichterung für die Pferde. Die Fahrgäste wollen auch darauf achten, daß den Tieren unterwegs genügend Ruhe gegönnt wird, daß sie richtig gefüttert und vor allem auch oft und reichlich getränkt werden.«

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1915 übernommen. Das Original befindet- sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Sympathieträger für Kinder, Hassobjekt für Erwachsene

Das zwiespältige Verhältnis zwischen Mensch und Maikäfer

Für die Kinder früherer Zeiten waren Maikäfer ein beliebtes Spielzeug. Je nach Färbung wurden sie in Kategorien eingeteilt, die einen unterschiedlichen Tauschwert hatten, vergleichbar den Fußballbildchen heutiger Zeit. Ein Kaiser oder Rotspargel war ein besonderes Pracht­exemplar mit dunkelrotem Schild im Nacken, der Müller war leicht weißlich und der Schuster wunderbar braun. Beim Tauschen mussten für einen Müller schon mehrere Schuster her.
Die Käfer wurden ein paar Tage in einer Schachtel oder einem Glas aufbewahrt und mit Blättern gefüttert, dann aber wieder in die Freiheit entlassen. Gelegentlich wurde mit ihnen aber auch mancher Unfug getrieben, ähnlich den Streichen von Wilhelm Buschs frechen Lausbuben Max und Moritz, die ihrem geplagten Onkel Fritz die Käfer ins Bett legten.

Maikäfer_Wilhelm_Busch
Doch die Käfer – kritze, kratze! -kommen schnell aus der Matratze.                                                       Foto: aus »Max und Moritz«

Den Bauern dagegen galten die gefräßigen Brummer, die ganze Ernten vernichteten, eher als Landplage, gegen die regelrecht Krieg geführt wurde. Im Mittelalter beschäftigten sich sogar Gerichte mit den Krabblern. 1320 wurden in Avignon die Maikäfer in der Gegend verurteilt, sich »binnen drei Tagen auf ein ihnen durch Tafeln bezeichnetes Feld zurückzuziehen.« Danach galten sie als vogelfrei und durften bekämpft werden. Ob die Käfer das allerdings verstanden haben, ist nicht überliefert.
Bevor nach dem Zweiten Weltkrieg in größerem Umfang Pestizide eingesetzt wurden, blieb im Wesentlichen nur das manuelle Einsammeln und Vernichten der Maikäfer. Die Käfer wurden dann an Hühner, Schweine und Fische verfüttert, oder auch mit kochendem Wasser übergossen und zwecks Einsatz als Düngemittel kompostiert. Besonders die Runkelrübenbauern der Provinz Sachsen sollen diesen Dünger geschätzt haben.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts landeten Maikäfer auch häufig im Kochtopf, wurden geröstet und zu Suppe verarbeitet. In Konditoreien waren sie verzuckert oder kandiert als Nachtisch zu haben.
Der Einsatz von Pestiziden hat inzwischen zu einem starken Rückgang der Population geführt. Ein Umstand, der sogar Eingang ins deutsche Liedgut fand. Reinhard Mey klagte, »Es gibt keine Maikäfer mehr« und schrieb »auf ein Birkenblatt die Noten für ein Käferrequiem«.

mr