Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

NK_Tagblatt-Kopf

Nr. 83 – Sonnabend, 10. April 1915
Warnung vor Butterschwindlerinnen! Seit einiger Zeit wird hier von Händlerinnen, welche die Wohnungen aufsuchen, sogenannte »Landbutter« zum Kauf angeboten. Sie halten diese in halbpfündigen großen blumenverzierten Stücken zum Preise von je 75 Pfg. feil. Später stellt es sich dann heraus, daß es sich um »Margarine« geringerer Qualität handelt. Die Käuferinnen sind mithin betrogen worden. Es hat den Anschein, als ob eine ganze Anzahl von Personen diesen Schwindel gewerbsmäßig betreibt.

Nr. 84 – Sonntag, 11. April 1915
Warnung vor dem Betreten der Hasenheide. Zu Verhütung von Unglücksfällen durch abirrende Geschosse aus den Schießständen der Hasenheide wird vor dem Betreten der Hasenheide und des südlich der Hasenheide gelegenen Teiles des Tempelhofer Feldes gewarnt. Eltern und alle diejenigen, denen die Obhut von Kindern anvertraut ist, werden aufgefordert, diesen das Betreten der genannten Gebiete zu untersagen.

Nr. 85 – Dienstag , 13. April 1915
Auf dem Heimweg von einer Beerdigung gestorben. Der 54jährige Pförtner des königlichen Hausministeriums, Bernhard Grunwald, hatte am Samstag einem verstorbenen Vereinskameraden auf einem Friedhof in Neukölln die letzte Ehre erwiesen. Zur Heimfahrt benutzte er die Straßenbahn. Während der Fahrt brach er im Wagen plötzlich zusammen. Ein Kamerad, der mit ihm fuhr, brachte ihn nach der Unfallstation in der Steinmetzstraße. Hier starb G. Aber bald nach der Einlieferung. Zur Feststellung der Todesursache wurde die Leiche beschlagnahmt.

Nr. 89 – Sonnabend, 17. April 1915
Frauen als Fensterputzer. Die Vertreter des Glasreinigungsgewerbes, die sonst in Groß=Berlin Tausende von Putzern beschäftigen, sind in eine Notlage geraten, da infolge von Einberufungen zum Heeresdienst ein empfindlicher Mangel von gelernten Arbeitern eingetreten ist und die Betriebe zum Teil erheblich eingeschränkt werden mußten. Da in absehbarer Zeit weitere Einberufungen zu erwarten sind, einigte man sich in der Tagung des Vereins der Glasreinigungsinstitute Groß=Berlins dahin, Frauen einzustellen, von denen man sich nach den bisher gemachten Erfahrungen gute Erfolge verspricht. Falsche Scham, mit Leiter und Eimer zu hantieren, hat sich bereits gelegt, und Belästigungen der Putzerinnen sind angesichts des Ernstes der Zeit nicht vorgekommen.

Nr. 93 – Donnerstag,  22. April 1915
Der streikende Omnibusgaul. Großen Verdruß bereitete gestern vormittag in der Berliner Straße dem Schaffner und dem Kutscher eines Omnibus ein streikender Gaul. Alle Bemühungen, das Tier zum Ziehen zu bewegen, waren vergebens. Kräftige Männer schoben den Omnibus wiederholt an und wohl oder übel ging auch der Gaul einige Schritte, dann blieb er aber wieder stehen. Umsonst ließ ihm der Kutscher die Peitsche kosten, er erzielte nur damit, daß Passanten sich für den Gaul einlegten. Wutentbrannt erklärte schließlich auch der Kutscher, streiken zu wollen und verließ seinen Sitz. Den Fahrgästen blieb nicht anderes übrig, als den Omnibus zu verlassen. Darauf aber schien der störrische Gaul nur gewartet zu haben, denn nun zog er auf einmal an und trabte mit dem leeren Omnibus vergnügt weiter.

Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1915 übernommen. Das Original befindet- sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.

Der Anfang des öffentlichen Nahverkehrs

Mit dem Pferdeomnibus durch Berlin

»Ach, wie ist‘s gemütlich auf der Pferdebahn. Det eene Pferd, det zieht nich, det andere, det is lahm« hieß es in einem Berliner Gassenhauer. Trotzdem war der Pferdeomnibus noch bis in die 1920er Jahre ein viel und gern genutztes, weil preiswertes Verkehrsmittel.

ABOAG 6er Omnibus
Omnibuspferd mit Sonnenhut zum Schutz gegen die Sommerhitze.                                                               Foto: Archiv berliner-verkehrsseiten

Die Wagen fuhren in kurzen Abständen, und die Linien waren im Durchschnitt vier bis fünf Kilometer lang. Gefahren wurde vorwiegend mit Decksitz-Omnibussen für 25 bis 30 Personen.
Der Betrieb der Pferdeomnibusse war personalintensiv. Kutscher, Wagner, Sattler, Stallmeister, Schmiede, Futterknechte und Pferdeleitknechte, die mehrmals am Tag frische Pferde zur Ablösung zu den Endstationen brachten, waren zu beschäftigen.
Haltestellen gab es bei den Pferdebussen nicht. Der Kutscher musste auf den Anruf der Fahrgäste achten und den Wagen anhalten. Auch das Auf- und Abspringen während der Fahrt war nicht verboten. Es gab sogar Aufrufe des Tierschutzvereins, den Wagen so selten wie möglich anhalten zu lassen, besonders auf ansteigender Straße, da jedes Wiederanziehen eine große Anstrengung für die Pferde war. Der tierliebende Berliner beachtete oft diese Aufforderung.
Auch pflastermüde Pferde brauchten Erholung zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft. »Omnibusruh« hieß die eigens dafür eingerichtete Pferde- Erholungsstätte im Teufelsbruch bei Spandau. mr