Hat hier einer Stress gesagt?

Eine Kneipen-Begegnung mit unverhofftem Ausgang

Freitag Abend. Eine verrauchte Kneipe in Neukölln, in der das Bier einen Euro kostet und der grauhaarige Wirt mit den Gästen Pfeffi kippt. Zwei Freunde und ich sitzen an einem klebrigen Tisch und reden über Gott oder die Welt. Es ist schon ziemlich spät, als eine Gruppe junger Männer hereinkommt und den Anschein macht, sich für eine Art »schlimme Neuköllner Jugend« zu halten. Nach ein paar ziellosen Runden durch den Laden steuern zwei auf uns zu.
»Ey hat hier grad einer Stress gesagt?« Ich blicke in zwei Paar Augen, die unter hochgezogenen Brauen leicht hektisch zwischen uns hin- und herhüpfen. Mehrmals verneinen wir und beteuern, das Wort den ganzen Abend noch nicht in den Mund genommen zu haben, bis die zwei sich zufriedengeben, gibt keinen Stress zu holen bei denen. Es kommt, dass meine Freunde sich in eine Partie Dart um Geld verwickeln lassen, und irgendwie werde ich als Mädchen bei der Mannschaftsbildung unbemerkt übergangen. Also trinke ich, eh nicht scharf auf Dart, mein Bier und soll den Gewinn hüten.
Einer von den Jungs, der vielleicht wegen seines FC Bayern-Trikots auch nicht mitspielen darf, kommt zu mir und fängt ein Gespräch über das Leben und die Liebe an. Als er sich wiederholt als Ausländer bezeichnet, hake ich ein und will nachbohren, wie das kommt, dass ein junger Mensch sich so sehr abgrenzen will von dem Land, in dem er lebt und liebt. Es stellt sich heraus, dass er ein Kind von Flüchtlingen aus Kroatien ist. Dass sie Kriegsflüchtlinge waren, will er irgendwie gar nicht sagen, als wäre das etwas Schlechtes, etwas wofür man sich vielleicht schämen muss. Hier wegen seinem rollenden «R» erkannt, dort auch der andere, der nicht wirklich dazugehört, fühlt er sich nirgends ganz zuhause. Und irgendwo tief drinnen stecken noch kindliche Erinnerungen an Fliegeralarm und Bomben in der Nacht.
Inzwischen haben die anderen ihr Spiel beendet, und ich darf den Gewinn vergeben. Es wird ein bisschen gegrölt und gejubelt, und der Junge im Bayern-Trikot, der sonst ganz wie der Rest einen auf Platzhirsch mit frechen Komplimenten und großen Gesten macht, legt mir die Hand auf die Schulter und bedankt sich in aller Ernsthaftigkeit für unsere Unterhaltung.

jt