Nachrichten aus dem»Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Nr 281 – Dienstag, 01. Dezember 1914
Die Aufgabe von Weihnachtspaketen für unsere Krieger zeitigte in den letzten Tagen auf dem hiesigen Hauptpostamt einen solchen Ansturm, daß die Paket=Annahmestelle zeitweise geschlossen werden mußte. Freilich hatte sich unsere Post auch in keiner Weise für diesen Ansturm, der vorauszusehen war, vorbereitet. Nur wenige Beamte standen zur Abfertigung des Publikums zur Verfügung, so daß sich die Abnahme der Pakete in einem wahren Schneckentempo bewegte. Hunderte von Paketaufgebern mußten daher stundenlang geduldig im Schalterraum harren, bis sie ihr Paket loswurden, und wem diese Zeit fehlte, mußte leider mit seinem Paket wieder den Heimweg antreten. Es ist bedauerlich, daß auch hierbei unsere Post wieder einmal gänzlich versagte.
Nr. 291 – Sonnabend, 12. Dezember 1914
Suspendierung von Vorschriften des Margarinegesetzes. Infolge der Unterbindung der russischen Zufuhren und der Verminderung der heimischen Produktion sind die Butterpreise in Berlin von 122 bis 125 Mark für beste Qualität Ende Juli auf 167 bis 170 Mark Anfang Dezember gestiegen. Dadurch ist die Nachfrage nach Margarine stark vermehrt worden. Dieser Nachfrage können zahlreiche Buttergeschäfte nicht genügen, weil sie die im Margarinegesetz vom 15. Juni 1897 vorgeschriebenen getrennten Verkaufsräume für Butter und Margarine nicht besitzen. Die hierdurch hervorgerufene Abwanderung eines großen Teils der Kunden in die Margarinegeschäfte schädigt nicht nur den Butterhandel, sondern auch die heimische Butterproduktion, da das Publikum daran gewöhnt wird, nicht nur für Koch= und Backzwecke, sondern auch an Stelle von Tafelbutter Margarine zu verwenden. Ferner wird der Butterhandel daran gehindert, durch Verkauf von Margarine auf die Butterpreise mäßigend einzuwirken. Diese Gründe haben die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin veranlaßt, in einer Eingabe an den Bundesrat die Suspendierung des § 4 des Margarinegesetztes für die Dauer des Krieges zu beantragen.
Nr. 296 – Freitag, 18. Dezember 1914
Keine Hühner abschaffen! Infolge der hohen Getreidepreise sind viele Besitzer im Begriff, die Hühner als unnütze Fresser abzuschaffen. Der weitsichtigere Landwirt wird dies nicht tun, denn er verschließt sich damit eine gute Einnahmequelle, weil die Eier, die vom Auslande nicht mehr hereinkommen, teuer sind und noch teurer werden, also den Futterpreisen entsprechen. Außerdem genügt es, die Hühner während der Ruhezeit nur mit Kartoffeln und etwas Kleie vermischt zu füttern.
Die Transkription des Zeitungstextes wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus dem Original von 1914 übernommen.
Die Originale befinden sich in der Helene-Nathan-Bibliothek.
Not macht erfinderisch
Margarine als Butterersatz für die Armen
Erfunden wurde die Margarine 1869 in Frankreich. Kaiser Napoleon III. brauchte einen preiswerten und nahrhaften Butterersatz, denn vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten konnten sich keine teure Butter leisten.
Dem Chemiker Hypolite Mège-Mouriès gelang es, aus Rindertalg, Milch, Wasser und Lab eine haltbare und günstige »Kunstbutter« herzustellen. Bereits 1871 entstand in Köln-Nippes, das erste deutsche Margarinewerk.
1902 entdeckte der deutsche Chemiker Wilhelm Normann, dass flüssige Öle durch Wasserstoff gehärtet werden können. Der Zusatz von tierischen Fetten wie Rindertalg, Schweineschmalz oder Walöl bei der Margarineherstellung konnte damit verringert werden und reinen Pflanzenölen aus Sojabohnen, Erdnüssen, Sonnenblumenkernen, Raps, Baumwollsaat oder Mais weichen, die von überall aus der Welt beschafft werden konnten.
Anfangs hatte die Margarine nicht den besten Ruf. Deutsche Hausfrauen griffen lieber zur »guten Butter«. Aber die Margarinehersteller wetteiferten darum, ihr Produkt immer mehr zu verfeinern und der Butter ähnlich zu machen. Dies und der Preisverfall von Butter brachte die Agrarwirtschaft auf die Barrikaden. Ihre Lobbyarbeit führte dazu, dass 1897 das erste Margarinegesetz erlassen wurde. Das schrieb vor, dass Margarine im Laden räumlich von Butter deutlich getrennt und besonders gekennzeichnet werden musste. Die Packung musste neben dem Namen der Herstellerfirma deutlich und nicht verwischbar die Aufschrift »Margarine« tragen und mit einem dicken roten Streifen versehen sein.
Die staatliche Kontrolle in der Margarineproduktion schaltete indes die unliebsame Konkurrenz nicht etwa aus. Die von den Herstellern nach außen als Qualitätssicherung vermarkteten Vorschriften führten zu dem noch heute geltenden Image der Margarine als hochwertiges und gesundes Nahrungsmittel.
mr