Frieden ganz klein anfangen

Das Wort in der Zeitung von Fred Haase

Ich sitze mit einer dampfenden Tasse Kaffee auf meiner Terrasse. Die Sonne scheint mit Begeisterung, Vögel zwitschern, sorgen für Bewegung durch Flüge und Landungen auf Rasenflächen, also »Carpe diem« in Reinform an diesem Morgen.
Wäre da nicht meine Frühstückslektüre. Die Zeitungsartikel minimieren von Seite zu Seite mein positives Lebensgefühl. Die Welt scheint statt Menschlichkeit, Verstand und logischem Handeln Krieg, Katastrophen und Populisten den Vorzug zu geben.

Frühstück.   llustration: Felina Matzdorf

Plötzlich sitzt mir wie aus dem Nichts heraus eine mir durchaus ähnelnde Kreatur gegenüber. Nach einem längeren Überraschungsmoment (12 Minuten) frage ich mutig, wer sich denn mir gegenüber so mutig positioniert. Mit rauher Stimme und Autorität sagt sie: »Ich bin dein schlechtes Gewissen. Ich fordere dich auf, statt hier rumzusitzen, gehe in die Welt, frage Menschen nach Lösungen für die Probleme, die unsere Welt zerstören.« Sie hebt drohend den Finger, trinkt den Rest meines Kaffees und entfernt sich mit einem unangenehm riechenden Nebelschweif.
Ich fühle mich erleuchtet und stark, mache mich umgehend mit Rucksack und Proviant auf den Weg, um Kluges zu erfahren, um es dann in Kiez und Kneipe zu veröffentlichen. Die kluge Leserschaft wird dann hoffentlich die Botschaften in eine bessere Welt tragen.
Ich frage unerschrocken und extrem motiviert Menschen auf der Straße, welche Ideen sie hätten, um unsere Welt zu retten. Der Mönch meint: »Beten«, der Rentner sagt: »Keine Chance, die Jugend ist zu ichbezogen«, die junge Clique meint: »Keine Chance, die Alten haben alles verursacht!«, die Populisten sagen: »Ist ganz einfach, die Lösungen verraten wir später«, Bob Dylan sagt: »Die Antwort weiß allein der Wind«, der Rechtradikale schreit »Ausländer raus«, die radikalen Islamisten predigen »Das Kalifat ist die Lösung«. Der Klimaaktivist ist von der Frage begeistert und will sich an meinem rechten Schuh festkleben, die Politiker sagen: »Alles kompliziert, wir arbeiten dran«, der Linksradikale woll meinen Rucksack anzünden, die Gruppe biederer Bürger sage: »Wir brauchen einen Führer, das ist gut fürs Klima!«, der Wissenschaftler meint: »Wir arbeiten an Lösungen«, einige Menschen rufen empört: »Ist uns doch egal, wir wollen auf nichts verzichten«. Der Soldat sieht mich drohend an, richtet sein Gewehr auf mich und brüllt: »Vernichtung!«.
Plötzlich höre ich das rasselnde Geräusch meines Sesamstraßenweckers. Erschreckt und schweißnass sitze ich im Bett und denke: »So ein blöder Alptraum, nicht mal im Bett hat man seinen Frieden. Darum erst einmal in Ruhe einen starken Kaffee trinken und Zeitung lesen«. Aber dann, vielleicht in seinem kleinen Umfeld, für Nächstenliebe, Humor, Umwelt- und Tierwohl sorgen. Ganz klein anfangen. Einfach mal probieren! Geht doch!