Rückkehr der Heuschreckensandwespe

Stadttiere passen sich an ihre Umgebung an

In der allgemeinen Wahrnehmung bleibt die Stadtnatur weiterhin ein ziemlich »blinder Fleck«, weil konsequent wilde Pflanzen und Tiere, aber auch Nutztiere aus dem städtischen Bereich entfernt werden. Um etwas »Natur« zurückzubringen, schufen Industrienationen zur »Naherholung« im urbanen Raum administrativ geplante und gestaltete Grünräume.

Stadtfuchs. Foto: rr

Ein Baum kühlt wie zehn Klimaanlagen! 17,7 Prozent der Fläche Berlins sind noch Wald, zusätzlich gibt es 430.000 Straßenbäume neben 575 Kilometern »grünen Korridoren«. Mit 3,6 Millionen Berlinern leben dazu noch rund 20.000 Tier- und Pflanzenarten. Ihre Habitate sind Friedhöfe, Parks, die zahlreichen Grüngürtel, Industriebrachen, Ruinen, Vorgärten, Gärten, Kleingartenanlagen, aber auch Wohn- und Geschäftsbauten. Selbst auf vielbefahrenen Mittelstreifen, wie zum Beispiel dem der Frankfurter Allee in Mitte, existieren mehr als 450 Insektenarten. Kürzlich wurde dort die seit 60 Jahren in Berlin verschollen geglaubte Heuschreckensandwespe wiederentdeckt. Diese Koexistenz ist möglich, wenn die »wilde Natur« eine Chance dazu bekommt.
Erst seit den 1970er Jahren erforscht die Wissenschaft in Deutschland die Stadtnatur. Das offen­bart­e, dass für ein Leben in unserer sich rasant verändernden Stadt immer mehr Tierarten sich viel schneller, als es Darwins Evolutionstheorie vermuten ließe, auch genetisch anpassen. Stadtleben prägt. Stadtamseln zum Beispiel reagieren viel gelassener auf Stress, veränderten ihr Verdauungssystem und haben kürzere Flügel als ihre Verwandten auf dem Lande, da sie nicht mehr wegziehen, und sie singen viel lauter, um den Verkehrslärm zu übertönen. Die Stadtamsel entwickelt sich zu einer neuen Art, wie auch sehr viele andere Spezies.
Noch ist der Artenreichtum Berlins höher als auf vielen Flächen außerhalb. Im Vergleich zur modernen Agrarlandschaft verfügt die Stadt über zahlreiche unterschiedliche »Nischen« und bietet ganzjährig Nahrung für die unterschiedlichsten Arten. Allein die fortschreitende bauliche Nachverdichtung, oft in Kombination mit einer energetischen Optimierung von Gebäuden aus Klimaschutzgründen, bedroht momentan dieses urbane Ökosystem.
Berlins stadtökologische Forschung zählt 1.500 Stadtfüchse, 50 Biberfamilien, 165 Brutvogel-, 18 Fledermausarten, zwei Seeadlerpaare, 400 Greifvogelreviere, um nur einige spektakuläre Zahlen zu nennen. Haben alle eine Zukunft, wo jährlich Flächen von 100 Fußballfeldern neu versiegelt werden? Das zeitgenössische, städtebauliche Leitbild favorisiert weiter die kompakte Stadt der kurzen Wege mit räumlicher Trennung von »Natur« und »Stadt«. Deshalb sind hier akut auch 35 Prozent der Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Dass das auch uns gefährdet, wird noch ausgeblendet.
rr