Dabei sein wäre alles

Eine neue Geschichte des Sports

»Dabei sein ist alles« lautet das Motto der Olympischen Spiele, bei denen sich die »Jugend der Welt« zum sportlichen Wettstreit treffen soll. Das galt aber nie für alle, denn die Geschichte des Sports ist auch eine Geschichte der Ausgrenzung vieler gesellschaftlicher Gruppen. Die Regeln machte eine weiße männliche Elite, die unter sich bleiben wollte.
In seinem neuesten Buch mit dem programmatischen Titel »Dabei sein wäre alles«, das der Politikwissenschaftler, Journalist und Publizist Martin Krauss am 13. Juni in der Helene-Nathan-Bibliothek vorstellte, richtet er seinen Blick auf die Sportler, die nicht in dieses Schema passen, wie Arbeiter, Frauen, ethnische Minderheiten, Menschen mit Behinderung oder Queere. Er beschreibt ihre Kämpfe um Anerkennung und Gleichberechtigung, aber auch alternative Sportkonzepte wie die Arbeitersportbewegung, die Gay Games, die jüdische Sportbewegung, Frauensport oder den Parasport, die als Antwort auf den Ausschluss der Sportler aus den bürgerlichen Sportbewegungen entstanden.
Die Lesung fand im Rahmen des Gedenkjahres an den Ringer Werner Seelenbinder statt, der vor 120 Jahren geboren und vor 80 Jahren von den Nazis ermordet wurde. Daher richtete der Autor bei dem Vortrag sein Augenmerk besonders auf das Kapitel des Arbeitersports, der in Deutschland sehr stark war. Viele dieser Athleten stellten ihre besonderen sportlichen Fähigkeiten in den Dienst des Widerstands gegen das NS-Regime als Kuriere, Fluchthelfer oder Gefangenenbefreier, und mancher bezahlte seinen Mut mit dem Leben wie Werner Seelenbinder.
Das Buch ist ein Ritt durch die Sportgeschichte der letzten 200 Jahre, entlang der großen Themenfelder Klassen, Rassismus, Antisemitismus, der Situation im Frauen- und Behindertensport, Fragen zu Islamophobie oder Postkolonialismus.
Martin Krauss erzählt Geschichten von Sportlern, die ihren Traum gegen alle Widerstände durchsetzten, wie Alfonsina Strada, die einzige Frau, die jemals den Giro d’Italia mitfuhren durfte, oder vom Kampf der Südafrikanerin Caster Semenya, der intersexuellen Olympiasiegerin, gegen ihre Diskriminierung 2023. Er stellt die Frage, warum es überhaupt eine geschlechtsspezifische Trennung gibt, da in vielen Sportarten Frauen den Männern durchaus ebenbürtig seien. Er erzählt von spektakulären Rekorden ausgeschlossener und oftmals vergessener Athleten. Es geht auch darum, wie sich Sportler ihre Rechte nehmen, durch die Gründung von Gewerkschaften oder die Organisation von Streiks. Er erzählt von Protesten gegen Rassismus oder Polizeigewalt, wie den von Colin Kaepernick etwa, den Footballprofi, der sich bei der amerikanischen Hymne hinkniete, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Damit räumt er auch gleich mit der Erzählung auf, Sport sei unpolitisch, »vielmehr trägt gerade die Behauptung, Sport sei unpolitisch, dazu bei, dass viele Menschen weiterhin ausgeschlossen bleiben und dass jeder Kampf um Teilhabe im Sport ein Kampf um demokratische Rechte in der Gesellschaft ist«, heißt es in seinem Fazit.
Ein spannendes Buch, das Einblicke gibt in bislang wenig bekannte Facetten der Sportwelt, und damit ein guter Begleiter durch diesen Sportsommer.

mr
Martin Krauss, Dabei sein wäre alles: Wie Athletinnen und Athleten bis heute gegen Ausgrenzung kämpfen. Eine neue Geschichte des Sports
448 Seiten, C. Bertelsmann Verlag, 28 €