Die Anzengruberstraße
Der Politikwissenschaftler Felix Sassmannshausen hat ein Dossier erstellt, in dem er Straßennamen mit antisemitischem Bezug in den Blick nimmt. In Neukölln hat er dabei 18 Straßen und Plätze identifiziert, deren Namensgeber antisemitische Verstrickungen haben.
Die Kiez und Kneipe stellt in den kommenden Ausgaben die Namensgeber vor.
Die Anzengruberstraße, die von der Karl-Marx-Straße zur Sonnenallee führt, trägt ihren Namen seit 1908.
Ludwig Anzengruber (* 29. November 1839, † 10. Dezember 1889 in Wien) war einer der frühen großen Realisten der österreichischen Literatur. Er zeigte in seinen Theaterstücken ungeschminkt soziale Missstände und griff die katholische Kirche an.
Anzengrubers Karriere als Bühnenschriftsteller begann am Theater an der Wien, wo er mit seinem Volksstück »Der Pfarrer von Kirchfeld« am 5. November 1870 auf Anhieb einen durchschlagenden Erfolg verzeichnete. Es war keines der damals üblichen, vor Sentimentalität triefenden Volksstücke; stattdessen drückte sich darin eine beißende Gesellschaftskritik aus.
Anzengruber verstand sich als Volksaufklärer und Sozialreformer, liberal und antiklerikal eingestellt. In seinen Stücken konzentrierte er sich auf die Darstellung sozialer Beziehungen in einer überschaubaren Umwelt und versuchte, aktuelle soziale und politische Probleme deutlich zu machen. Dazu brachte er vor allem die einfachen Menschen auf die Bühne: Die Not der ländlichen Bevölkerung, der Handwerker oder des Kleinbürgertums waren seine Motive und Menschen.
Ob Anzengruber Antisemit war oder nicht, darüber stritten seine Zeitgenossen bereits kurz
nach seinem Tod. Während die Forschung in seinem zu Lebzeiten veröffentlichten Werk keine negative Judenfigur erkennt, stellte er im posthum erschienenen »Der kewige Jud« (Dialektbezeichnung für »frech« oder »keck«) sowohl Juden als auch Antisemiten satirisch überzeichnet dar.
In der Forschung herrscht überwiegend die Meinung vor, dass Anzengruber ein liberal denkender Kritiker gesellschaftlicher Gegebenheiten, insbesondere des damaligen Agierens der katholischen Kirche, war. Aber weder sein literarisches Werk im Gesamten noch zeitgenössische Darstellungen seiner Person in Zeitungen sprechen dafür, ihn als überzeugten Antisemiten einzuordnen.
Sassmannshausen schlägt eine weitere Forschung zum Namensgeber und darauf folgend gegebenenfalls eine Kontextualisierung vor.
mr