Abriss oder neue Perspektiven?
Noch steht der Gebäudeklotz in der Karl-Marx-Straße 95, Ecke Anzengruberstraße. Eingehüllt in ein gigantisches Werbetransparent an der Außenfassade wirkt das Gebäude fast unscheinbar. Nun ist das ehemalige C&A-Kaufhaus seit Monaten verwaist und steht mit riesigen Nutzungsflächen leer. Die Zukunft der Geisterimmobilie scheint ungewiss. Mal wieder.
Dabei stellt das ehemalige Kaufhaus aus Sicht des Bezirksstadtrats Jochen Biedermann eine »Schlüsselimmobilie« dar. Mit weiteren Objekten wie der Alten Post und dem »Kalle Neukölln« soll die Karl-Marx-Straße zum Großstadtboulevard aufgemotzt werden. Seit rund 15 Jahren werden hierfür im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee viele bezirkliche Umbaumassnahmen realisiert, die unter anderem die Aufwertung der Karl-Marx-Straße als »Erlebnisraum« vorantreiben sollen. Bezirksbürgermeister Hikel träumt gar von einer vorzeigbaren Einkaufsmeile im neuen »Innovations- und Trendbezirk« Neukölln, während etliche Anwohner ein Befeuern der Gentrifizierung und den Verlust ihrer Wohnung befürchten.
Bis zum Sommer 2021 wurden die Räume des Ex-Kaufhauses vom »Nion Haus« genutzt. Geschäftsführer Ryotaro Chikushi wollte aus dem Gebäude ein internationales Kulturzentrum und gemeinnütziges Kaufhaus entwickeln. Doch auch nach zweijähriger Experimentierphase wird es kein Kulturzentrum geben. Stattdessen wurde das ehemalige »C&A«-Kaufhaus regelrecht ausgeweidet. Die Großküche und die kompletten Sanitäranlagen wurden abgebaut. Einrichtungen und technische Materialien wurden verschenkt und verkauft. Diente die Demontage von technischen Anlagen nur dazu, den profitableren Umbau vorzubereiten? Macht der millionenschwere Grundstückseigentümer nun ernst mit Abriss und Neubau? Schon 2019 war dies Thema der Gespräche zwischen Bezirk und Eigentümer. Das ehemalige »C&A« sollte durch den Neubau eines Bürohauses ersetzt werden. Bezirkstadtrat Biedermann nimmt zu möglichen Umbauplänen derzeit keine Stellung. Er erklärte aber, es habe aktuell ein Gespräch mit dem Eigentümer stattgefunden, um den Weg zu neuen Planungen abzustimmen. Da es sich um eine reine Gewerbeimmobilie handele, müsste ein Abriss nur angezeigt und nicht genehmigt werden.
Die Frage schließt sich an, warum ein intaktes fünfstöckiges Gebäude mit Nutzungsflächen von über 9.000 Quadratmetern überhaupt abgerissen werden muss? Zumal das in Zeiten des Klimawandels einer ernormen Ressourcenverschwendung gleichkommt. Wäre ein Gebäudeerhalt mit Sanierung nicht die attraktivere Alternative, um die Geisterimmobilie für das Gemeinwohl nutzbar zu machen? Neukölln hat einen großen Bedarf an sozialen Gewerberäumen, dem die Stadtentwicklung auch Rechnung tragen muss. Es mangelt an bezahlbaren Gewerberäumen für beispielsweise Kitas, Stadtteilzentren, Tagesstätten für Obdachlose oder Geflüchteten-Unterkünfte. Mit der Alten Post, dem »Kalle Neukölln« und der »Galeria Karstadt« am Hermannplatz sind zudem wichtige Schlüsselimmobilien in der Hand großer Immobilienplayer, die neben einem Standortmix vor allem Büro- und Co-Working-Spaces schaffen. Damit werden allerdings vor allem die Bedürfnisse einer einkommensstarken Klientel bedient. Dem hält der Bezirksstadtrat die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Bezirks auf die Nutzungen entgegen. Das Gebäude selbst wäre wegen der hohen Gebäudetiefe, fehlender Freiflächen sowie Belichtung und des baulichen Zustands – ohne einen erheblichen Umbau – nicht für eine gemeinwohlorientierte Nutzung geeignet.vr