Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Neuköllnische Zeitung – Sonnabend, 08.04.1922
Reparaturbedürftige Schulen. Bei der Berliner Stadtverordneten=Versammlung ist ein Antrag eingegangen, der sich mit dem baulichen Zustand der städtischen Schulen befaßt. Nach der Kriegszeit sind danach selbst die notwendigen Reparaturen unterblieben. Der Verfall der Gebäude schreitet vorwärts. Die Klassen widersprechen in vielen Schulen allen sanitären Anforderungen. Im letzten Jahre hatte der Magistrat etwa zwei Drittel der geforderten Mittel gestrichen, so daß die angesetzten Reparaturen zunächst nicht ausgeführt werden konnten.
Neuköllnische Zeitung – Samstag, 22.04.1922
Tödlicher Automobilunfall des Optikers Ruhnke. Der Berliner Optiker und Fabrikbesitzer Karl Ruhnke ist das Opfer eines schweren Automobilunfalls auf der Chaussee zwischen Burg und Schermen geworden. Ruhnke war mit seinem Direktr Stumpf und einem Berliner Kunstmaler auf der Rückfahrt von Magdeburg nach Berlin. Plötzlich versagte die Steuerung, und das Auto fuhr mit voller Gewalt in den Chausseegraben, wo es sich überschlug. Ruhnke und Stumpf gerieten unter das Auto und wurden so schwer verletzt, daß der Tod auf der Stelle eintrat. Der Kunstmaler kam mit einem Nervenschock davon. Der Chauffeur erlitt leichtere Verwundungen. Die Verletzten fanden im Krankenhaus Burg Aufnahme, während die beiden Toten nach Magdeburg überführt wurden. Ruhnke, der 49 Jahre alt geworden ist, wohnte seit vielen Jahren in Berlin=Zehlendorf
Neuköllner Tageblatt –Sonnabend, 22.04.1922
Demonstrationen gegen den »Fridericus«=Film. Donnerstag abend versammelten sich vor den Kuckuck=Lichtspielen am Kottbuser Damm mehrere tausend Personen, die entschieden gegen den dort zur Aufführung gelangenden Friedericus=Film demonstrierten. Die Erregung wuchs so, daß ein Teil der Protestierenden in das Kino eindrang und sich anschickte, die Einrichtung zu demolieren. Auf das Eingreifen der Schupo hin ließen sie von ihrem Vorhaben ab und gingen schließlich auseinander.
Neuköllnische Zeitung – Donnerstag, 27.04.1922
Die Frage der Schulreinigung, die in der letzten Zeit mehrfach die Oeffentlichkeit beschäftigt hat, kam nochmals in der letzten Sitzung des Zweckverbandes sämtlicher nebenamtlich angestellter Schulärzte zur Sprache. Die Schuldeputation des Berliner Magistrats hat dem Zweckverband, der die mangelhafte Reinigung der Schulräume beanstandet hatte, ein Schreiben zugehen lassen, wonach die Schulräumlichkeiten »wegen der angespannten Finanzlage der Stadt« nicht öfter als dreimal gereinigt werden können. Die Reinigung wird vom Magistrat für ausreichend erachtet, wenn sie »richtig vorgenommen wird und Lehrer und Schüler die Schulräume pfleglich behandeln«. Im Gegensatz hierzu erklärt das Städtische Gesundheitsamt im Gemeindeblatt diese Mitteilung als unrichtig und stellt ausdrücklich fest, daß alle Krankenanstalten, Fürsorgestellen, Schulen, Zahnkliniken und Rettungswachen nach wie vor täglich gereinigt werden. In den Kreisen der Schulärzte ist von einer solchen täglichen Säuberung nichts bekannt. Der Zweckverband richtet deshalb an den Magistrat die Frage, wie sich die beiden amtlichen – stark widersprechenden – Bekanntmachungen erklären. Auch die Oeffentlichkeit hat an der Klärung dieser gesundheitlich wichtigen Frage ein begreifliches Interesse.
Neuköllner Tageblatt – Donnerstag, 27.4.1922
Die Hausfrau als Arbeitgeber. Eine wenig beachtete, aber recht wesentliche Neuerung im Hausgehilfengesetz enthält eine vom Reichswirtschaftsrat festgesetzte Bestimmung. Danach hat von nun an im Falle von Streitigkeiten die Hausfrau, die die Anordnungen im Haushalte erteilt, vor Gericht als Arbeitgeber aufzutreten. Bisher galt der Hausherr als Arbeitgeber und das führte oft zu Verhandlungsschwierigkeiten, wenn der Betreffende in die Materie der umstrittenen Arbeitsleistung nicht eingedrungen war.
Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.
»Fridericus Rex«
Ein Film sorgt für handgreifliche Auseinandersetzungen
»Fridericus Rex« ist ein vierteiliger deutscher Historienfilm, der in den einzelnen Episoden »Vater und Sohn«, »Sturm und Drang«, »Sanssouci« und »Schicksalswende« die wichtigsten Stationen im Leben des preußischen Königs Friedrich II. nacherzählt. Er bebildert die gängigen Anekdoten von den Schikanen des Vaters gegenüber dem jungen Kronprinzen bis zum Sieg bei Leuthen im Siebenjährigen Krieg.
Unter der Regie von Arzen von Cserépy spielte Otto Gebühr die Titelfigur, die die Rolle seines Lebens werden sollte. Die ersten beiden Teile wurden 1922, die letzten beiden 1923 uraufgeführt.
Der Film entstand unter dem Eindruck des verlorenen Ersten Weltkriegs und sollte nicht nur das Bild des populärsten Monarchen der deutschen Geschichte verklären, sondern den Patriotismus in dem von der Schmach der Niederlage und den nachfolgenden Revolutionswirren demoralisierten deutschen Volk neu entfachen.
Dieser Versuch, deutsch- nationale Gefühle wiederzuerwecken, führte dazu, dass dieser Historienbilderbogen sowohl das Publikum als auch die Kritik zutiefst spaltete. Die einen bejubelten ihn oder ließen sich zumindest davon unterhalten. Die anderen, angeführt von linken Parteien und Gewerkschaften, riefen zum Boykott der ersten beiden »Fridericus«-Teile auf. Die kommunistische Presse schrieb erregte Verrisse, und oft kam es vor und in den Kinos zu handgreiflichen Auseinandersetzungen.
Diese Auseinandersetzung wirkte offenbar wie unbezahlte Werbung: Der Erfolg war so groß, dass eine parallele Vermarktung einsetzte mit einer Bildmappe, einer Postkartenserie, einem Notenheft mit der Filmmusik, schließlich sogar mit einem Buch zum Film.
mr