Über Busenbürsten und andere Kalamitäten

Kapielskis Kotmörtel

Frowalt Heimwée Irrgang Hiffenmarkt ist ein etwas sonderbarer Mensch. Ein begnügsamer, an sich zufriedener, fantasievoller und gebildeter Mann, Familienvater und von Beruf Vertreter für Sanitärbürsten. Getrieben wie beseelt ist er vom ständigen Drang seiner Einfälle und Erkenntnisse und davon, diese auf Bahnhofsvorplätzen zu referieren oder in einem Geheimrefugium niederzuschreiben und zu archivieren. Als er am Schweinfurter Bahnhof von einer hübschen Frau zwei Geschenkpakete annimmt, um sie in seiner Heimatstadt Grollstadt-Sauger zu überbringen, was scheitert, landet er für Monate im heimischen Knast. Warum genau – das erfahren Leser und Leserin, wenn überhaupt … Aber will wollen nicht »spoilern«.
Der Autor, Künstler und Kunsttheoretiker Thomas Kapielski ging in die Fritz-Karsen-Schule in Britz und ist nicht nur als Mitglied des Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchesters Legende in unserer Gegend. Seit über 40 Jahren mit valentinesk hintergründigen Kunstwerken, Bildern und Fotos, experimentellen Musikprojekten und viel Literarischem aktiv und unterwegs, verbindet er Alltags- und Rauscheindrücke mit aphoristischen und philosophischen Erleuchtungen und kleine grotesk und absurd erscheinende Konstellationen mit einem breiten kulturhistorischen Kontext. Überlegungen über Bier und Nietzsche, Gottesbeweise und Goethe wirbeln munter durcheinander. Klingt wirr und anspruchsvoll, aber bei allem Schwadronieren, Abschweifen und Raisonieren machen Humor, Mutterwitz und die unbändige Lust am Spiel mit der Sprache und den Sprachen die Werke Kapielskis stets zum Vergnügen, auch wenn sich mancher Sinn nicht sofort erschließt.
In Kapielskis jüngstem, im April erschienenen Roman nehmen die von Brummfliegen beflügelten Grübeleien Frowalts, viele davon in dessen Refugium in Meppen als »Kalamitäten« festgehalten, und die Verhöre oder besser geistreichen, den wahnwitzigen Weltenlauf verhandelnden Gespräche zwischen dem Inhaftierten und seinem nicht minder wortgewaltigen Polizeikommissar Rufus Röhr den größten Raum ein. Die Action spielt sich eher im Gedankengefecht ab.
Die Freiheit der Rede und der Fortbestand der Orte dafür liegen dem Autor und den Helden seiner Bücher auch in »Kotmörtel« am sozialen Herzen. Ein Buch, das sogar schwere Bereiche wie Glaube, Moral, Freiheit und Selbstbewusstsein wundersam, witzig und kalauerreich verhandelt und den Spaß am Denken und Lesen fürtrefflich vermittelt.

hlb
»Kotmörtel – Roman eines Schwadronörs«, 410 Seiten, 20 Euro, edition suhrkamp