Archiv der Kategorie: Reportagen

Rudolph – mit roter Nase durch die Weihnachtszeit

Die Geschichte des beliebten Rentiers

Als die Geschichte von Rudolph, dem rotnasigen Rentier in den USA 1939 erstmals veröffentlicht wurde, begeisterte das auf Anhieb viele Kinder und ihre Eltern. Heute ist die zeitlose, kommerziell erfolgreiche Geschichte vom erst ausgegrenzten Außenseiter in über 29 Sprachen übersetzt und passt perfekt zur Weihnachtszeit, in der explizit Toleranz, Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Güte gepredigt werden.
Eine USA-weit operierende Kaufhauskette verschenkte immer zur Weihnachtszeit Ausmalhefte an die Kinder der Kundschaft. Um die kostengünstiger im eigenen Hause produzieren zu können, wurde der eigene Anzeigenverfasser Robert Lewis May damit beauftragt. Als Hauptfigur wählte May ein Rentier, weil seine Tochter Barbara diese so liebte, und auch, weil acht von ihnen den Schlitten des Weihnachtsmannes ziehen. Ab da ergänzt Rudolph als neuntes rotnasiges Leittier das schon damals beliebte Schlittengespann aus Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen. Rudolph – mit roter Nase durch die Weihnachtszeit weiterlesen

Gedenken an einen Unbeugsamen

Vor 90 Jahren wurde Erich Mühsam ermordet

Mühsamgedenkstätte in Britz. Foto:mr

Von 1927 bis 1933 lebten der Dichter, Publizist, Antimilitarist und politische Aktivist Erich Mühsam und seine Frau Kreszentia – genannt Zenzl – in der Dörchläuchtingstraße in der Hufeisensiedlung. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von der preußischen Polizei im Beisein von SA-Männern verhaftet und in den folgenden 14 Monaten durch Gefängnisse und Konzentrationslager (KZ) geschleppt, wo er gefoltert und gequält wurde. Anfang Oktober 1933 wurde er in das KZ Oranienburg verlegt, wo er in der Nacht zum 10. Juli 1934 von Angehörigen der SS ermordet wurde, wobei sie einen Selbstmord durch Erhängen vortäuschten.
Daran erinnerte die Ini­tiative »Hufeisern gegen Rechts« mit einer Gedenkveranstaltung. Gedenken an einen Unbeugsamen weiterlesen

Gedenken an ein anarchistisches Powerpaar

Stolpersteine für Rudolf Rocker und Milly Witkop

In der Nachbarschaft Erich Mühsams lebten seit 1932 zwei seiner anarchistischen Freunde, die Jüdin Milly Witkop und ihr Lebensgefährte Rudolf Rocker. Ihnen gelang unmittelbar nach dem Reichstagsbrand die Flucht in die USA. Nach Europa kehrten sie nie wieder zurück.
Am 12. Juli wurden zwei Stolpersteine für das dem Anarchosyndikalismus verpflichtete Paar vor ihrem letzten freigewählten Wohnort in der Buschkrugallee 246 verlegt.

Stolpersteine gegen das Vergessen.Foto: mr

Rudolf Rocker und Milly Witkop lernten sich als politisch aktive Anarchisten 1895 in der jüdischen Gewerkschaftsbewegung in London kennen.
Nach Kriegsausbruch 1914 agitierten die Anarchosyndikalisten gegen den Krieg und den damit verbundenen Nationalismus und Militarismus. Ihre Begründung: Der Unterschied zwischen den Kriegsparteien sei kein inhaltlicher, sondern beide Seiten verkörperten gleiche kapitalistische Unterdrückungsregime. Daher müssten Anarchisten dem kriegerischen Treiben generell ablehnend gegenüberstehen und in allen Staaten gegen den Krieg mobilisieren. Gedenken an ein anarchistisches Powerpaar weiterlesen

Rückkehr der Heuschreckensandwespe

Stadttiere passen sich an ihre Umgebung an

In der allgemeinen Wahrnehmung bleibt die Stadtnatur weiterhin ein ziemlich »blinder Fleck«, weil konsequent wilde Pflanzen und Tiere, aber auch Nutztiere aus dem städtischen Bereich entfernt werden. Um etwas »Natur« zurückzubringen, schufen Industrienationen zur »Naherholung« im urbanen Raum administrativ geplante und gestaltete Grünräume.

Stadtfuchs. Foto: rr

Ein Baum kühlt wie zehn Klimaanlagen! 17,7 Prozent der Fläche Berlins sind noch Wald, zusätzlich gibt es 430.000 Straßenbäume neben 575 Kilometern »grünen Korridoren«. Mit 3,6 Millionen Berlinern leben dazu noch rund 20.000 Tier- und Pflanzenarten. Ihre Habitate sind Friedhöfe, Parks, die zahlreichen Grüngürtel, Industriebrachen, Ruinen, Vorgärten, Gärten, Kleingartenanlagen, aber auch Wohn- und Geschäftsbauten. Selbst auf vielbefahrenen Mittelstreifen, wie zum Beispiel dem der Frankfurter Allee in Mitte, existieren mehr als 450 Insektenarten. Kürzlich wurde dort die seit 60 Jahren in Berlin verschollen geglaubte Heuschreckensandwespe wiederentdeckt. Diese Koexistenz ist möglich, wenn die »wilde Natur« eine Chance dazu bekommt. Rückkehr der Heuschreckensandwespe weiterlesen

Kleingärten fördern Diversität und Integration

Festveranstaltung der Dachorganisation des Kleingartenwesens im neuen Bundeszentrum

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der erste Kleingartenverein in Kappeln an der Schlei in Schleswig-Holstein gegründet. Ab 1820 errichteten dann deutschlandweit mehrere Kommunen sogenannte Armengärten, in denen Familien auf gepachtetem Kirchenland Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anbauen konnten. Inzwischen gibt es mehr als eine Million Kleingärten in Deutschland.

Klara Geywitz mit der Schreberjugend.    Foto: mr

Der erste Zusammenschluss, der »Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands«, wurde 1921 gegründet und bezweckte laut Satzung »unter Fernhaltung parteipolitischer und konfessioneller Bestrebungen den Zusammenschluss aller Inhaber von Kleingärten«. Dieses Ziel hat der Verband bis in die Gegenwart verfolgt, auch wenn Name und Rechtsform mehrfach gewechselt haben. Kleingärten fördern Diversität und Integration weiterlesen

Rettung für Orang Utans

Verein in Neukölln bewahrt sie vor dem Aussterben

Wir können die Orang-Utans retten. Und nicht nur das. Indem wir sie retten und vor dem Aussterben bewahren, schützen wir den Urwald und leisten einen wichtigen Beitrag für ein gutes Klima auf der Erde. Eine Organisation, die sich leidenschaftlich und erfolgreich für das Überleben der Orang-Utans einsetzt, ist der Verein »Borneo Orang-Utans Survival« (BOS).
BOS Deutschland hat seinen Sitz auf dem ehemaligen Kindl-Gelände. Hier arbeiten zehn Menschen mit Herzblut für den Erhalt der Orang-Utans.

Zu 97 Prozent wie wir.Foto: BOS

Orang-Utan bedeutet »Waldmensch«. Dass dies gar nicht so abwegig ist, zeigt die Forschung: Wir Menschen teilen uns mit den Orang-Utans 97 Prozent gleiche DNA, sie sind uns also sehr ähnlich. Sie zeigen wie wir Gefühle, sie kommunizieren, spielen und gebrauchen Werkzeuge.
Der gemeinnützige Verein BOS betreibt auf Borneo aktuell zwei Rettungszentren mit mehr als 400 geretteten, verwaisten und beschlagnahmten Orang-Utans. Bislang konnten 515 Tiere wieder ausgewildert werden, und nachweislich wurden 34 Orang-Utan Babys in der Wildnis geboren. Rettung für Orang Utans weiterlesen

Hilfe beim Stromsparen

Energieberatung auf niedrigschwelligem Niveau

Alles wird teurer momentan, vor allem die Energiepreise kennen seit Wochen nur eine Richtung: Nach oben. Deshalb heißt es sparen. Das schont die Geldbörse und hilft außerdem noch dem Klima, denn jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, muss nicht erzeugt werden.
Menschen mit geringem Einkommen, niedriger Rente oder im Bezug von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe können sich im Rahmen des Projekts »Stromspar-Check« des Caritasverbandes Hilfe organisieren, um Energiesparmöglichkeiten im Haushalt ausfindig zu machen.

Uwe Schröder.Foto: mr

»Kerngeschäft« und Grundlage dafür, dass den Menschen passgenau Soforthilfen wie LED-Leuchtmittel zur Verfügung gestellt werden können, sind die Hausbesuche. Beim Erstbesuch wird eine Bestandsaufnahme gemacht, um zu überprüfen, wie der Energieverbrauch zustande kommt. Dabei wird das Verbrauchsverhalten überprüft, die Verbrauchswerte von Waschmaschinen, Elektroherden, Kühlschränken, Computern, Warmwasserbereitern oder Fernsehgeräten gemessen, die Beleuchtung und der Wasserverbrauch kontrolliert sowie Vorschläge gemacht, was verbessert werden kann. Hilfe beim Stromsparen weiterlesen

Kleingartenverein »Guter Wille« wird 100

Mit Optimismus in die Zukunft

Die Fahne voran, musikalisch unterstützt vom Pankower Spielmannszug und begleitet von Abordnungen benachbarter und befreundeter Kleingartenvereine marschierten die Kleingärtner durch ihre Anlage.

Mit Fahnen durch die Gärten.Foto:mr

Mit dabei auch die freiwillige Feuerwehr mit ihrem Spritzenwagen.
Das diesjährige Sommerfest des Kleingartenvereins »Guter Wille – Britz e.V« stand ganz im Zeichen eines runden Geburtstages: Vor 100 Jahren pachteten Gartenfreunde das Gelände am heutigen Koppelweg in Britz, und gründeten den Verein »Guter Wille«. Kleingartenverein »Guter Wille« wird 100 weiterlesen

»Rudergesellschaft Wiking« feiert 125jähriges Jubiläum

Die Medaillensammler von Neukölln

Mit einem Fest und der Taufe von sieben neuen Booten hat die »Rudergesellschaft Wiking« (RG Wiking) am 20. August im »Estrel« ihr 125jähriges Jubiläum feierlich begangen. Das eigentliche Jubiläum war bereits am 18. Januar 2021, die Feier musste wegen Corona mehrfach verschoben werden.

Ein 4er Boot wird auf den Namen des Ruderers Winfried Saeger getauft. Dafür waren die Familienmitglieder extra aus München angereist. Foto:Stephanus Parmann

Die »Rudergesellschaft Wiking«, ein reiner Männerverein, gehört mit ihren derzeit 216 Mitgliedern zu den sportlich erfolgreichsten Rudervereinen in Deutschland. Legendär ist und bleibt der Wiking­achter, der 1936 bei den Olympischen Spielen die Bronzemedaille holte. »Etwa alle 21 Tage fährt die »Rudergesellschaft Wiking« seit ihrer Vereinsgründung Siege ein«, bemerkte Torsten Gorski, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ruderverbands in seinem Grußwort. »Rudergesellschaft Wiking« feiert 125jähriges Jubiläum weiterlesen

Ein See zieht sich zurück

Strausberg kämpft ums Wasser, auch für Neukölln

Die Wasserlage in Strausberg ist dramatisch, doch nicht nur dort. Der Straussee, ein Kernstück der »Grünen Stadt am See«, zieht sich zurück. Die Badeanstalt musste bereits geschlossen werden, dafür ist kein Wasser mehr da. Die Menschen in Strausberg wehren sich mit einer Bürgerinitiative, wollen ihren See erhalten, weil Strausberg weiterhin grün und reich an Wasser bleiben soll. Und ihr Protest ist vorbildlich. Die Problematik um das Wasser ist komplex. Wir sprechen mit Jens Mader, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bürgerinitiative.

Wasserdemo.Foto: Dietmar Kuhl

»Wir sagen nicht, dass es zu schlimm ist, aber wir wollen nicht, dass es schlimmer wird. Vor allem geht es darum, dass wir mit dem Trinkwasser schonend umgehen, es ist unsere wertvolle Ressource. Der Straussee hat an natürlichen Zuflüssen verloren, die Niederschläge lassen auch nach. Das Problem trifft nicht nur uns.« Ein See zieht sich zurück weiterlesen

Neun Euro Ticket

Abenteuer Streckennetz

Von meinem geplanten Ausflug nach Kiel für einen Tag Hin und Zurück wurde mir von vornherein und zurecht abgeraten. Mehr als zehn Stunden wären erforderlich für die Ein-Tages-Fahrt gewesen, mit Aufenthalt und Schwimmen in der Kieler Förde hätte ich das gar nicht geschafft, sondern Zuflucht bei meinen Freunden für eine Nacht suchen müssen. Also besser gar nicht und ansonsten wie üblich Hin und Zurück im komfortablen ICE. Da erhalte ich verbindliche Fahrplanauskunft bei der Buchung, leider ohne Gewähr, es könnte ein Zug ausfallen, doch der nächste kommt bestimmt, meistens eine Stunde später, und der könnte wegen Bauarbeiten mal Umwege fahren müssen. Der moderne Schnellzug ist klimatisiert, leider hat gelegentlich das Bistro alias Restaurant nicht unbedingt geöffnet, doch in der Regel schon. Neun Euro Ticket weiterlesen

Obdachlosigkeit – wie können wir helfen?

Ein Gastbeitrag von Sonja Lawin

Regelmäßig in der kalten Jahreszeit erinnern sich die Medien der Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben und in der Kälte schlafen müssen.
Wer in Neukölln lebt weiß, dass das kein winterliches Phänomen ist, sondern Alltag. Ob im Sommer in sengender Hitze oder eben jetzt bei nieseligem nasskaltem Wetter sehen wir Menschen auf der Straße sitzen, essen und schlafen.

Dächer über Köpfe.   Foto: Sonja Lawin

Oft schaudern wir beim Vorbeigehen, weil wir die klammen, nass geregneten Matratzen förmlich selbst am Körper spüren können. Dann überlegen wir, ob wir in unseren Mänteln Kleingeld haben und ob wir es herauskramen sollten. Schnell stellt sich die Frage ein, ob es zu viel ist oder zu wenig, ob wir damit überhaupt helfen oder die Lage sogar noch verschlimmern – und schon sind wir eine Ecke weiter. Manchmal fühlen wir uns dann noch eine Weile schlecht, denn wir hätten vielleicht doch helfen können. Obdachlosigkeit – wie können wir helfen? weiterlesen

Mit voller Härte durch die Pandemie

Ein Gastbeitrag von Maria Glänzel

Berlin war von je her ein raues Pflaster, und Obdachlose hatten es nie leicht, sich über Wasser zu halten.
Zu Pandemiezeiten treten die politischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu Tage und es trifft die Menschen ohne ein Dach über dem Kopf mit voller Härte.

Kein »weiter so«!       Foto: Sonja Lawin

Neulich hatte ich mich mit einem jungen Mann in der S-Bahn unterhalten und ihm ein ausrangiertes Portemonnaie geschenkt. Er kramte prompt in seiner Hosentasche und zog seinen Impfnachweis raus, welcher in einer extra Schutzhülle vor Nässe gesichert wurde. Er meinte, dass er nun einen sichereren Ort dafür habe und erzählte mir kurz, wie sich die Bedingungen seit Corona für ihn verändert hatten.
Zum einem gingen die Menschen von sich aus mehr auf Abstand und geben weniger ab, zum anderen wird der Umgang der Sicherheitskräfte gegenüber Obdachlosen in den öffentlichen Verkehrsmitteln konsequenter und mutet immer diskriminierender an.
An der nächsten Station musste er raus und zog weiter. Mit voller Härte durch die Pandemie weiterlesen

Zufallsbekanntschaft aus traurigem Anlass

Suche nach dem einstigen Elternhaus in Britz

Wir wohnen sehr lange schon in Britz in der Krugpfuhlsiedlung, der Schwestersiedlung vom UNESCO-Weltkulturerbe Hufeisensiedlung. Im Dezember 2020 sprach meine Frau in der Hanne Nüte zwei Passanten an, die nicht das Reihenendhaus finden konnten, in dem bis Ende 1943 die Familie von Wolfgang K. zur Miete gewohnt hatte.

Eltern von Herrn K.     Foto: privat

Der nun 84-jährige wollte, solange es ihm noch möglich war, wenigstens einmal den Ort aufgesucht haben, an dem der Vater und sein jüngerer Bruder bei einem Bomberangriff im Dezember 1943 ums Leben kamen.
Nach dem Krieg wurden alle damals zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Auch die Einfamilienhausreihe. Das Eckhaus des Blocks trägt aktuell die Nummer 43, die Familie damals bewohnte ein Eckhaus im Block, das hatte die Nummer 45. Heute fehlt diese völlig und Herr K. fragte, ob womöglich das ehemalige Elternhaus nicht mehr existiere und wo sich der Unglücks­ort befinden könnte. Als vermeintlich intimer Orts- und Geschichtskenner wurde ich hinzugezogen, aber auch ich konnte nicht ad hoc das Fehlen der Hausnummer erklären. Mir selbst war das bisher nicht aufgefallen, weshalb ich versprach, das zu klären. Zufallsbekanntschaft aus traurigem Anlass weiterlesen

Schwarzfahrer gehören nicht in den Knast

Ein Gastbeitrag von Maria Glänze

Die Aktion »Freiheitsfonds – Raus aus der JVA« hat es geschafft, bis Weihnachten 113 Menschen vor einer Haftstrafe zu bewahren, die sie wegen Fahrens ohne Fahrschein hätten ableisten müssen.
Fahren ohne Fahrschein gilt in Deutschland als Erschleichen von Leistungen nach Paragraph 265a StGB und wird mit bis zu einem Jahr Haft geahndet.

Schwedische Gardinen.    Foto: mr

Dieses Gesetz wurde 1935 beschlossen, um die Gesetzeslücke für »Betrug am Automaten« zu schließen und die Interessen der privaten Automatenbetreiber gegenüber denen der Bevölkerung zu schützen.
Damals wie heute sind Haftstrafen für kleine Vergehen absurd und kosten den Staat Unmengen an Steuergel­dern, zudem befinden sich die Verurteilten in einer weiteren sozialen Abwärtsspirale, aus der sie nur schwer alleine entkommen können.
87 Prozent der so genannten Täter sind arbeitslos, hinzu kommen häufig Obdachlosigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Schwarzfahrer gehören nicht in den Knast weiterlesen

Drinnen und draußen

Ausflüge nach Marzahn und Potsdam

Mein Nachbar hatte Besuch. Wenn Besuch kommt – das kennt man von früher, da muss was unternommen werden.
Der Besuch hatte klare Vorstellungen, da er viele Jahre in Berlin gelebt hat. Montag, »Gärten der Welt« in Marzahn, Dienstag »Biosphäre Potsdam«. Da habe ich mich angeschlossen.
Also auf zur berühmten Seilbahn der »Gärten der Welt«, die über den Kienberg schwebt. Im Rahmen der Internationalen Gartenausstellung Berlin 2001 wurde sie von österreichischen Seilbahnbauern entwickelt und umgesetzt.
Die Anreise zur U-Bahn Kienberg gestaltete sich etwas holprig. Schienen­ersatzverkehr ab Friedrichsfelde. Dann eine Station mit der U-Bahn. Beim Ausstieg war die Seilbahn schon zu sehen. Dort oben angekommen, fuhr sie aber nicht. Was nun?

Gärten der Welt.Foto: Edda

Wir studierten die Karte und fanden einen Weg am Kienberg entlang. Sehr schön angelegt mit vielen Gräsern am Rande des Weges. Am Haupteingang gönnten wir uns einen Kaffee. Dann sind wir alle Gärten abgelaufen. Mein Liebling ist der japanische Garten, und zum Abschluss gab es einen grünen Tee im chinesischen Garten. Mein Tagesprogramm von 10.000 Schritten habe ich locker übertroffen. Drinnen und draußen weiterlesen

100 Jahre Märchenwiese

Von der Hermannstraße in die freie Körperkultur

Vor langer Zeit, genauer 1921, entdeckte eine Gruppe Wanderer einen Wiesenstreifen voller Blumen am Ufer eines Sees in Brandenburg – sie nannten diesen verwunschenen Ort »Märchenwiese«. Einer von ihnen war der Unternehmer Wilhelm Bartsch. Er kaufte das Areal mit eigenen Mitteln und gründete 1928 den »Freilichtbund Märchenwiese«. Nicht untypisch für diese Zeit. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine bürgerlich elitäre, meist illegale Nacktkultur.


Auf dem Gelände konnte, neben einer Vereins- oder Besuchergebühr, auch gegen Geld gezeltet oder eine kleine Hütte aufgestellt sowie eine Bootsanlegestelle gemietet werden. Immer mehr Menschen kamen, was auch mit der guten Anbindung an Berlin zu tun hatte – so gab es zum Beispiel eine Direktverbindung vom der Haltestelle Hermannstraße. Und doch ist es keinesfalls selbstverständlich, dass dieses Gelände heute, nach 100 Jahren, noch immer nach gleichen Idealen genutzt werden kann. Eine Geschichte mehrerer Staatsformen und der Kampf um den Erhalt das Geländes liegt hinter den heutigen Bewohnern. 100 Jahre Märchenwiese weiterlesen

Einsatz für die Ärmsten

Anstoß für mehr Zusammenhalt

Thomas de Vachroi. Foto: Diakoniewerk Simeon

Thomas de Vachroi ist neuer und erster Armutsbeauftragter des »Evangelischen Kirchenkreises Neukölln«, eine Aufgabe, die er zuvor bereits seit 2017 im »Diakoniewerk Simeon« engagiert wahr genommen hat. »Damit setzt die Kirche ein dringendes Statement in der Armutsbekämpfung. Kirche und Diakonie tun dazu viel. Als Koordinierungsstelle will ich diese Arbeit vorantreiben und alle Aktiven noch näher zusammenbringen. Es bedarf eines Fundaments aus kirchlichen und gemeinnützigen Organisationen, Vereinen und Politik, von dem alle, die etwas tun möchten, profitieren. Viele wollen helfen, wissen aber nicht wie. Im Kern ist das für mich diakonischer Dienst, Menschen zu motivieren, dass jeder und jede die Gesellschaft in vernetztem Handeln ein bisschen mitträgt.« Einsatz für die Ärmsten weiterlesen

Olaf liebt Nähe und Dominanz

Gefesselt und gestreichelt

Herr und Hund. Foto: privat

Es gibt einen interessanten Mann in Neukölln. Olaf führt ein ungewöhnliches Leben. Neben einer klassischen Ehe ist er auch der Sklave in einer homosexuellen BDSM-Beziehung zu einem Master. Dabei ist er ein sehr glücklicher Mensch, offenherzig und humorvoll, das strahlt er aus, obwohl er in seinem Leben »schmerzhaft diskriminiert« wurde.
Als 18jährigen traf es Olaf stark. Er verliebte sich in einen dreißigjährigen Mann, eine Beziehung entstand. Seine damalige Familie unterbrach das schöne Glück in rabiater Weise. Die Polizei wurde eingeschaltet und der Partner bis nach London verfolgt. Seinerzeit war Homosexualität in England fast noch verboten, über BDSM-Praktiken auch unter Heterosexuellen wurde überwiegend nur »hinter verschlossenen Gardinen« gesprochen. »Das war sehr hart.« Olaf liebt Nähe und Dominanz weiterlesen

Elkes Kuschel-WG

Ein Neuköllner Bordell der besonderen Art

»Knorke.« Das ist das passende Wort für Elke und Ute, mit denen ich spreche. Charismatisch trifft es auch. Beide sind bereits Rentnerinnen. Vor zwölf Jahren hat Elke ihre »Kuschel-WG« eröffnet. Sie gab ihren Beruf als Verkäuferin auf, um ein besonderes Bordell zu eröffnen. »Wir richten uns an Männer, die zu reiferen Frauen wollen. Das Alter der Frauen beginnt ab vierzig.« Elke ist die Inhaberin der »Kuschel WG« und arbeitet selbst nicht aktiv, sondern sorgt dafür, dass alle Regeln von den arbeitenden Damen und Gästen eingehalten und die Gewerbemiete bezahlt werden kann. »Wir sind zu den Gästen freundlich, obwohl es nicht immer einfach ist.Jeder korrekte Gast und jede ehrliche Frau ist uns willkommen.« Elkes Kuschel-WG weiterlesen

Zu Sling und Swing nach Schöneberg

Hüte und Ledermode für besondere Anlässe

Wer auffällige Kleidung für spezielle Anlässe sucht, wird in Schöneberg fündig. Ein Besuch in der Fuggerstraße, Motzstraße und Eisenacher Straße lohnt sich. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die dortigen Bekleidungsgeschäfte Produkte von hervorragender Qualität anbieten.

Schick behütet.   Foto: th

Der »SlingKing« in der Eisenacher Straße gilt als einer der international führenden Anbieter von handgefertigten Lederwaren. Er trägt seinen Namen nicht unverdient. Ein »Sling« ist insbesondere bei Männern, die »BDSM« praktizieren, sehr gefragt. Es handelt sich um eine Art Schaukel, hauptsächlich aus Leder, die mit vier Stahlketten an der Decke befestigt wird. Der passive Mann liegt beim Sexspiel im »Sling« und beide Partner »swingen« regelrecht. Zu Sling und Swing nach Schöneberg weiterlesen

Liberalität seit 50 Jahren

Der Retro-Sexshop in der Karl-Marx-Straße

Es verschlägt mir glatt die Sprache. Unbeschreiblich ist dieser Sexshop, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Die Tür steht halb offen. Der erste Blick fällt auf den sympathischen Inhaber, der alles andere als von gestern ist. Die Zeitschriften in der Auslage wirken dennoch so, dokumentieren dabei zurückliegende Zeiten, zeugen von vergangenem Flair, als Sexshops noch fragwürdige Exotik waren, in die man nur verstohlen den Zugang suchte.

Heiße Höschen und schicke Schuhe.      Foto:th

Der Inhaber empfängt mich maskiert, zeitgemäß per Taschentuchvermummung. Eigentlich will er kein Interview geben, Kiez und Kneipe ist ihm allerdings geläufig, er kommt gleich zum Kern. Der Sexshop öffnete am ersten Oktober 1971. Sexkino gab es bis 2001. Inzwischen werden DVDs verkauft. Da die Filme auch im Internet erhältlich sind, sinkt die Nachfrage nach Toys und Pornos im Shopangebot. William, so nennt sich der Inhaber des Erotikshops im Interview, bespielt den Laden dennoch weiter. Liberalität seit 50 Jahren weiterlesen

Wanderratten nagen sich zum Menschen durch

»Schädlingsbekämpfer« sind Fachleute mit IHK-Abschluss

Menschen kaufen sich in Zoohandlungen durchaus Zuchtratten, die ihnen als anhängliche Haustiere helfen sollen, die Zeit zu vertreiben. Die wildlebende Wanderratte ist in Haushalten und Lebensmittelhandlungen hingegen nicht willkommen, doch als plagender Nager auf dem Vormarsch in die Keller, Dachböden und Küchen.

Die Wanderratte. Foto:Umwelbundesamt

Obwohl die Wanderratte mit ihren Knöpfchenaugen wirklich süß aussieht, gilt sie als »Schädling« und ein »Schädlingsbekämpfer«, so die offizielle Berufsbezeichnung für die im Volksmund »Kammerjäger« genannte Fachkraft, wird benötigt. Wanderratten nagen sich zum Menschen durch weiterlesen

Sex wird wieder lockerer

Aber Sexarbeit weiterhin nicht möglich

Der Wunsch nach Sex in verschiedenen Weisen besteht auch in Zeiten von Corona. Menschen, die in Beziehungen leben, unterliegen allenfalls freiwilligen Beschränkungen. Die vielen Singles mussten zwischenzeitlich andere Wege gehen, bevor Kneipen Bier to Go offerierten und einen Anlaufplatz boten und inzwischen die Cafés und Restaurants wieder zu bestimmten Zeiten öffnen dürfen.


In dieser Zeit stiegen die Klicks auf Pornos, speziell auf sogenannte »Corona Pornos«, berichtet das Magazin für junge Leute »Jetzt«. Masken seien ein wichtiges Requisit in den dargestellten »Spielen mit dem Verbotenen«. Das ist im Kern nur von der Ausdrucksweise her neu; denn Pornos rühren immer an Tabus, zeigen umstrittene Inhalte und sind in ihrer Darstellung künstlicher Fantasien nicht nur in ihrer Wirkung auf jüngere Menschen umstritten. Neu ist ebenfalls nicht, dass »Sex auch durch das Telefon« möglich und »am sichersten allein« sei, wie in einigen Foren diskutiert wird. Eins bleibt dabei vollkommen sicher: Sex verlangt vor allem nach Nähe, nach körperlichem Austausch, um tiefe Befriedigung zu erleben. Sex wird wieder lockerer weiterlesen

Hilfe für Jungs macht Mut

Sexualisierte Gewalt gegen Jungen und Männer kommt zur Sprache

Der Flyer enthält eine bebilderte Geschichte. Ein Junge ist bedrückt. »Hey Green, was ist denn los«, fragen seine Freunde. »Wir sind Kumpels, Du kannst es uns doch sagen.« »Ihr kennt doch diesen Typen, wo alle hingehen.« »Den mit der Playstation, total nett.« »Letztens wollte er Nacktfotos von mir machen.« »Was.« Schließlich wird der Junge wieder fröhlich. »Meine Eltern sind mit mir zu den »berliner jungs« gegangen. Ich kann jetzt richtig gut STOPP sagen und weiß, wo ich Hilfe bekomme und wie ich mich besser schützen kann.«


Sexualisierte Gewalt hat viele Ausprägungen und macht vor Jungen und Männern nicht halt. Es fällt oftmals schwer, darüber zu reden. Der Verein »HILFE-FÜR-JUNGS e.V.« kümmert sich um diese Problematik. Die beiden Projekte heißen »berliner jungs« und »MUT«. Es geht zum einen um präventiven Schutz durch aktive Informationen und zum anderen um Beratung traumatisierter Jungen und Männern. Hilfe für Jungs macht Mut weiterlesen

Sexarbeit von Mann zu männlich

»Subway« bietet Hilfe für junge Sexarbeiter an

In der aktuellen Phase der Ausgangsbeschränkungen und Schließung öffentlicher Orte sind auch Bars, Clubs und »Pensionen« geschlossen, in denen sonst Sexarbeit von Mann zu männlich geleistet wird. Junge Männer, die sonst der Prostitution nachgehen, halten sich weiterhin auf der Straße auf, viele können in die Obdachlosigkeit geraten oder haben bereits keine feste Wohnung mehr. »Subway« hat deswegen seine Hilfsangebote »für Jungen, Männer und Trans*personen bis 27« verdoppelt: die Öffnungszeiten wurden von vier auf acht Stunden ausgeweitet, die Streetwork durch erfahrene Sozialarbeiter intensiviert. Es werden Lunchpakete an junge Obdachlose aus der Sexszene verteilt und aktuell über Corona aufgeklärt. Die Arbeit erfolgt derzeit in sechs Sprachen. Sie ist notwendiger denn je. Sexarbeit von Mann zu männlich weiterlesen

Schön und sexy

Angebote für besondere Stunden

Wer für intime Treffen oder auch laszive Events ein besonders ansprechendes Outfit sucht, wird in Neukölln schnell fündig. In die Suchmaschine braucht man nur »Sexshops in Neukölln« einzugeben. Nahezu alle renommierten Geschäfte sind vertreten. Neben nützlichen Toys und Gels gibt es eine breite Palette von aufregenden Textilien. In manchen Läden überwiegt das Angebot für Frauen, doch auch Männer werden fündig. Fetischartikel gibt es darunter reichlich.


Bundesweit bekannt ist der auf BDSM spezialisierte »Fetischhof Berlin«. Kleidung, Toys und Möbel von hoher Qualität sind erhältlich, im Geschäft und im Versand. Für Bestellungen kann man sich telefonisch beraten lassen. Gourmets des besonderen erotischen Genusses sollten sich nicht entgehen lassen, zu einem der regelmäßigen Events zu kommen. Schön und sexy weiterlesen

Sehr gute Ergebnisse für Sexarbeitende

»Runder Tisch Sexarbeit« legt Handlungskonzept vor

HANDELN für Gleichstellung.    Foto: pr

Der »Runde Tisch Sexarbeit« hat für Berlin ein umfangreiches »Handlungskonzept« zur Verbesserung der Situation der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter vorgelegt. In sechs Sitzungen in wenig mehr als einem Jahr sowie in Arbeitsgruppen wurde eine Bestandsaufnahme vorgenommen und Schlussfolgerungen daraus gezogen. Die Arbeit erfolgte »auf Augenhöhe«. Mitglieder verschiedener Senatsverwaltungen, des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, der Polizei, Beratungsstellen und weiterer Behörden trafen sich mit Vertretern und Vertreterinnen der Sex­arbeitenden und Bordellbetreibern. Es geht darum, der Diskriminierung von Sexarbeit entgegen zu treten, eine Grundvoraussetzung für die Verbesserung der Situation in der vielseitigen Berufssparte. Das übergeordnete Ziel des Gremiums ist, dass Sexarbeitende ihre Tätigkeit ohne Diskriminierung unter sicheren und menschenwürdigen Bedingungen ausüben können. Sehr gute Ergebnisse für Sexarbeitende weiterlesen

Zauberhaftes von der Ziege

Cremig-frischer Belgier

Viel ist in unserer Käsekolumne von glücklichen Kühen und prächtigen Almen die Rede, doch das Käseuniversum hält natürlich noch ganz andere Delikatessen bereit als Bergkäse. Diesen Monat wollen wir uns den Ziegen widmen. Diese kletterfreudigen und glattfelligen Mitbewohner fressen am liebsten frische, saftige Kräuter und Blättchen, riechen gar nicht mal so streng und: Sie geben Milch, aus der sich fantastische Käse, von topfig frisch bis pikant und hart, machen lassen, die mit einem ganz speziellen, rassig-würzigen Aroma punkten.

NATUR oder Kräuter? Foto: me

Man vermutet, dass Ziegen schon vor rund 13.000 Jahren, lange vor Kuh oder Pferd, im Orient domestiziert wurden, sind sie doch genügsam und günstig zu halten. Über die Mauren kam das Wissen um die Verarbeitung von Ziegenmilch bis nach Mitteleuropa. Insbesondere die Franzosen kultivierten es ab dem Mittelalter und entwickelten bis heute beliebte Ziegenkäsesorten.
In Belgien, Frankreichs Zauberhaftes von der Ziege weiterlesen

Der Käse für alle Fälle

29 Kilo Schweizer Familientradition

In unserer winterlichen Käseserie berichteten wir bereits über Mike Glauser, der vor rund 15 Jahren zusammen mit dem Bauern Jürg Wyss die Firma »Jumi« (aus Jü-rg und Mi-ke) gründete, um der Welt die sagenhafte Vielfalt Schweizer Rohmilchkäse zu präsentieren. Mike arbeitete schon während seines Studiums als Lebensmitteltechniker bei seinem Onkel Peter Glauser, Käsemeister aus Belp bei Bern. Gemeinsam entwickelten sie die getrockneten Knoblauchfrischkäsekugeln, die als »Belper Knolle« ihren Siegeszug antraten und von den »Jumis« als Vertriebspartner an Märk­te und Gastronomien bis nach Japan geliefert und in eigenen Läden in Wien und London angeboten werden.

KRÄFTIGER Laib aus Familienhand.      Foto: fh

Die kreativen, unkonventionellen Kreationen der »Jumi«-Käsemacher werden vornehmlich in drei Käsereien der Glauser-Familie hergestellt. Ein besonders pikantes Kunstwerk aus dem »Jumi«-Schlaraffenland ist der »Schlossberger«, ein Schnitt-Bergkäse aus Kuhrohmilch mit knapp 30 Kilo schwerem Laib. Den Namen erhielt der Hartkäse von einer alten Burgruine, die auf dem Schlossberg nahe der Käserei des Urgroßvaters der Glausers stand, von dem das Ur-Rezept stammt. Der Käse für alle Fälle weiterlesen

Künstliche Intelligenz

Ein verfluchter Segen

Der Autor.  Foto: rot

Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716) erfand das Binärsystem. Damals während der Wende vom 17ten zum 18ten Jahrhundert war der Versuch »…den Geist des Menschen frei machen für höhere Dinge« schon längst aufgenommen. Das Binärsystem diente dazu, ein Mechanisieren des Rechnens zu schaffen. Binär stellt das philosophische Prinzip der Dualität dar. An oder Aus; anwesend oder nicht anwesend; eine Sprache, die jeden Mechanismus von grundsätzlicher Natur umsetzbar macht. Es ist oder es ist nicht; Sein oder nicht-sein, was die Frage ist. Seit dem Rad hat keine Erfindung den menschlichen Fortschritt so geprägt – könnte man sagen. Allerdings hatte von Leibniz in seiner Zeit es sich nicht vorstellen können, in wie weit sein ebenso einfacher wie genialer Durchbruch Einfluss auf die Menschheit nehmen würde. Künstliche Intelligenz weiterlesen

Geflügelte Neuköllner

Von Bienen, Wespen und Hornissen

Der Neuköllner Tierpark in der Hasenheide ist um eine Attraktion reicher.
Am 24. August eröffnete Bezirksbürgermeister Martin Hikel einen Bienenwagen, in dem das Treiben im Inneren der Bienen-, Wespen- und Hornissenvölker zu beobachten ist. Eine durchsichtige Röhre bietet Einblick in das Herein- und Herauslaufen der Hornissen, ihre Materialtransporte ebenso wie ihre Begrüßungsrituale.

Die Baumeister der Wabentechnik lassen sich bei der Produktion des Honigs beobachten, der in Kürze – kaltgeschleudert – unseren Speiseplan bereichern kann.
Unterstützung hat das Team des Bienenwagens durch derzeit vier engagierte junge Leute, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) leisten. Chiara Radina, die »… auf jeden Fall zum Schutz der Umwelt studieren und arbeiten will …«, drehte mit den Kindern, die zahlreich anwesend waren, eine Bienenwachskerze nach der anderen.
Motten-Manne, der Rüpel der anwesenden »Insekten im Menschenkostüm«, initiierte ein kleines Experiment. Eine Honigbiene wurde aus dem Bienenwagen, der in der Nähe der Minigolfanlage steht, zum Columbia­damm transportiert und dort frei gelassen. Sie benötigte knapp zwei Minuten für diese Strecke von circa einem Kilometer, um wieder in ihren Bienenstock einzufliegen.
Wer sich vor Ort informieren möchte, kann täglich zwischen 9:00 und 19:30 den Bienenwagen besuchen. Es lohnt sich!

bs

Fünfakter vor Gericht

Eine Ellenbogenlänge entscheidet über nicht erfolgte Körperverletzung

Gestenreicher geht es nicht. Selten geschieht das so theatralisch wie am 7. Juni vor dem Amtsgericht Tiergarten, das zuständig ist für Strafverfahren. Angeklagter, Zeugin, Amtsanwältin, Richterin und Verteidigerin: alle kamen der Reihe nach ins Gestikulieren, beugten sich mit erhobenen, fuchtelnden Armen immer wieder vor, um einen Vorfall in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Vorjahr nachzustellen. Ihre Gesten spiegelten sich gegenseitig wieder.
Was wie eine Posse klingt, war durchaus ernst. Gegen den Reporter Stephanus P. wurde durch das AfD- Mitglied Anne Z. Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattet. Für den Reporter hätte diese Anschuldigung nach einer Verurteilung ernste Folgen haben können.
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Sichtungen vor den Toren Neuköllns

Es muss nicht immer ‚Malle‘ sein

EHEMALIGES Kreisgericht Angermünde.                                                                                                  Foto: bs

Raus aus Neukölln, rein in die Uckermark, das statistisch sonnenreichste Gebiet Deutschlands, das ihr die Bezeichnung »Toskana des Nordens« beschert hat. Innerhalb von maximal 90 Minuten per Bahn oder Auto lassen sich Schwedt, Prenzlau, Oberes und Unteres Odertal, Lychen, Templin, Kloster Chorin erreichen, zeitmässig vergleichbar etwa der Strecke mit der U7 von Rudow nach Spandau.
Sinn und Zweck des Ausfalls aus Berlin waren erstens Natursichtungen aller Art und zweitens Entschleunigung.
Erste Sichtungen innerhalb der ersten dreissig Minuten waren etliche Berliner Autos, ein Buddy-Bär und eine weibliche Neuköllner Pflanze, der Liebe wegen in Schwedt gelandet. Ok, Neukölln ist überall, Neuköllner auch – und Fahrräder. Diese können an sich überall gemietet werden, nur nicht wirklich in der Vorsaison. Sichtungen vor den Toren Neuköllns weiterlesen

Teilhabe an Natur und Kultur

Wünsche von Stadträten und Bürgern

»Genügend Freiflächen und kleine wie mittlere grüne Lungen sind[…] unverzichtbar für urbane Lebensqualität, unverzichtbar auch dafür, Neukölln widerstandsfähiger gegen Extremwetter zu machen und nicht zuletzt unverzichtbar für ein wahrhaft gelebtes Miteinander von Mensch und Natur auch in der Stadt. Daher wünsche ich mir für das kommende Jahr zum Wohle aller Neuköllnerinnen und Neuköllner, erfolgreich an der gesamtstädtischen Konzeption für eine Sicherung und Entwicklung Grüner Infrastruktur mitzuwirken«, sagte Umweltstadtrat Bernward Eberenz gegenüber dem Tagesspiegel auf dessen Anfrage zu den Wünschen der Bezirkspolitiker für 2019.

Kletterpflanzen erdrosseln das Parkgrün.                                                                                                 Foto: ew

Wenn doch seine eigene Abteilung in die Gänge käme, um die grüne Infrastruktur zu erhalten. Die Lessinghöhe steht exemplarisch für Versäumnisse. Dort werden einige Büsche dieses Jahr nicht wieder ergrünen, da zugelassen wurde, dass die weiße Zaunrübe und andere Kletterpflanzen ihnen den Garaus machen. Ob wir uns dieses Jahr an dem in Berlin seltenen Hamamelisbaum erfreuen können, bleibt abzuwarten, denn auch er ist betroffen. Dabei haben Kletterpflanzen durchaus positive Eigenschaften, wenn sie zum Beispiel statt Styropor zur Dämmung von Hauswänden genutzt werden. Teilhabe an Natur und Kultur weiterlesen

Gewalt gegen Menschen

» Wir sind hier, wir sind queer, wir lassen uns nicht verjagen«

Es kann jeden und jede treffen. Die Gewalt gegen homosexuelle Menschen nimmt in Neukölln wie in ganz Berlin erschreckend zu. Mainzer Straße, Hermannplatz, Sonnenallee, an einer Bushaltestelle: Das sind die Orte, an denen zuletzt Homosexuelle und Transsexuelle aus Hass angegriffen und verletzt wurden. Die Übergriffe sind brutal: Schläge ins Gesicht, Zu-Boden-Werfen, In- den-Kehlkopf-treten, Messerstich in das Bein. Auch Beschimpfungen und Beleidigungen gibt es öfter.


Das Anti-Gewaltprojekt »Maneo« veröffentlicht jährlich zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, einen Bericht über Straftaten. 2017 waren es in Berlin 324 Angriffe, 14 Prozent mit Raubüberfall. Die Polizei vermutet eine Dunkelziffer von 80 Prozent, da vieles nicht angezeigt werde, obwohl auch Beleidigungen und Beschimpfungen strafbar seien. Neukölln liegt mit 18 erfassten Übergriffen auf dem erschreckenden Platz drei der Bezirke. Ein weiterer Anstieg wird befürchtet. Gewalt gegen Menschen weiterlesen

Die Sache mit der Acht

Revolutionen vielleicht besser in anderen Jahren

Revolutionen in Deutsch­land haben die Tendenz, unvollendet zu sein, wenn sie nicht komplett scheitern und zwar in blutigem Gewehr- und Kanonenfeuer. Sie setzen allerdings dauerhafte Zeichen und verändern das Bewußtsein für eine demokratische Transformation der Gesellschaft.
Es beginnt 1848 mit der bis ins nächste Jahr anhaltenden Märzrevolution. Regionale Erhebungen quer durch den Deutschen Bund, Schwerpunkt ist Süddeutschland, münden in der Nationalversammung in der Frankfurter Pauls­kirche.

März-Revolution 1848.                                                                                                                      Foto: historisch

Vorübergehend entgleitet dem Adel unter Führung des preußischen Königs die politische Kontrolle. Nicht weit entfernt vom Schloss in Berlin sind Menschen in der Breiten Straße mit der Schwarz-Rot-Goldenen Trikolore auf den Barrikaden. Die Sache mit der Acht weiterlesen

Ihre Rechte als Mieter – Einfach erklärt von Kiez und Kneipe

Folge I: Wie man Zähne zeigt bei Mieterhöhungen und Modernisierungen

Die allermeisten Neuköllner sorgen sich, ihre Wohnung bald nicht mehr bezahlen zu können. Viele müssen exorbitante Mieterhöhungen schultern oder ganz wegziehen. Diese Entwicklung lässt sich nicht umkehren, aber immerhin haben Mieter Rechte, die so manche fiese Mieterhöhung abwenden können. »Kiez und Kneipe« hat über viele Schicksale durch Verdrängung berichtet und will nun konkrete Tipps geben. Dafür haben wir uns beim Berliner Mieterverein schlau gemacht.

Bei der »normalen« Mieterhöhung kommt ein Brief des Vermieters ins Haus, der eine höhere Miete verlangt. Die Begründung: Der Berliner Mietspiegel sei gestiegen und rechtfertige die Erhöhung. Doch häufig benennen die Vermieter einen Wert aus dem Mietspiegel, der für die Qualität der Wohnung zu hoch ist. Viele Wohnungen Neuköllns sind nämlich im Seitenflügel oder in einer »besonders lärmbelasteten Lage«, die man geltend machen kann.
So können Sie sich selbst wehren: Ihre Rechte als Mieter – Einfach erklärt von Kiez und Kneipe weiterlesen

Am Ende einer langen Reise

Gegenwind, Sprühregen und löchrige Klamotten

Der schwierigste Teil auf dem Weg von Berlin nach Melbourne mit dem Fahrrad ist das Out­back. Nicht nur, weil das Zentrum Australiens weitgehend menschenleer und äußerst trocken ist, sondern weil dort giftige Schlangen wohnen und weil Sonne und Hitze gnadenlos sind. Das größte Problem ist der Wind, der im Herbst von Süd nach Nord weht und naive Radfahrer wie mich, die hier normalen Gegenwind erwartet haben, komplett fertig macht.

Die Weiten des Outbacks.                                                                                                                        Foto: Moritz

Wie ein überdimensionales Stück Brandenburg, in dem es nie regnet, Kängurus herumspringen und mittelmäßiges Essen astronomisch teuer ist, erstreckt sich das Outback über 3000 Kilometer von Darwin im Norden bis Port Augusta im Süden. Und um alles noch anstrengender zu machen, gibt es eine besonders lästige Sorte Fliegen, deren Lebens­inhalt darin besteht, in Augen, Nase und Mund hinein zu krabbeln. Am Ende einer langen Reise weiterlesen

Das Fahrrad trägt ihn weiter

Vierte Folge: Von Vietnam nach Australien

»Vietnam erscheint mir wie eine süße Version von China, die Leute sind nett und haben nicht alles mit Wolkenkratzern und Autobahnen zugebaut. Und da sind Touristen! Zumindest am ersten Tag nach einem ziemlich steilen Anstieg nach Sa Pa. Danach habe ich keine Ausländer mehr gesehen«, erzählt Moritz Ecker, der seit fast einem Jahr mit seinem Fahrrad von Berlin nach Australien unterwegs ist.
Die Überquerung der Grenze zu Laos ruft in Erinnerung, dass dieses Land nicht ganz so frei ist.

Australien, der letzte Kontinent.                                                                                               Foto: Moritz Ecker

Moritz muss für alles mögliche bezahlen, unter anderem verlangen die Grenzbeamten Geld für einen Eintrittstempel nach Thailand, was offensichtlich Betrug ist. Doch es wird schon dunkel und er »will nicht auf einer nicht explodierten Munitionsdeponie in der Nähe der Grenze übernachten«, zahlt die zusätzlichen neun Dollar und sagt nicht auf Wiedersehen. Das Fahrrad trägt ihn weiter weiterlesen