Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 1.3.1925
Aus Anlaß des Hinscheidens des Herrn Reichspräsidenten Ebert hatten gestern die öffentlichen und zahlreiche Privatgebäude Neuköllns halbmast geflaggt. Die Todesnachricht wurde in Neukölln außerordentlich schnell bekannt. Schon um 10.30 Uhr konnten wir durch Aushang vor unserer Geschäftsstelle die Trauerkunde mitteilen, die allenthalben herzliche Teilnahme hervorrief.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 2.3.1925
Berlin soll wieder sauber werden. Wie von damit beauftragten Polizeibeamten festgestellt worden ist, befinden sich noch zahlreiche Plakate an Häuserfronten, Mauern, Zäunen und Reklameschildern. Da aber nicht mehr zu ermitteln ist, von wem und auf wessen Veranlassung die Plakate, die im übrigen schon mehrfach Anlaß zu Beschwerden gegeben haben, angeschlagen worden sind, so sind die Eigentümer der Häuser usw. ersucht worden, diese Plakate zu entfernen.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 4.3.1925
Dolmetscher auf Berliner Bahnhöfen. Das Mitteleuropäische Reisebüro (Mer) hat jetzt die bereits seit längerer Zeit in Aussicht genommene Aufstellung von Dolmetschern auf dem Bahnhof Friedrichstraße, auf dem Anhalter Bahnhof sowie auf dem Schlesischen Bahnhof für die Züge des internationalen Verkehrs durchgeführt. Die Dolmetscher sind uniformiert und erteilen allen ankommenden und abfahrenden Reisenden unentgeltlich jede gewünschte Auskunft.

Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 4.3.1925
Die Riesendemonstration der Teilnahme. Während um die Mittagsstunde das Trauergeläute aller Glocken über Berlin hindröhnt, steht die Menschenmenge an den Straßenzügen, die der Reichspräsident Friedrich Ebert auf seiner letzten Heimfahrt passieren wird, schon Kopf an Kopf in unabsehbarem Gewimmel. Seit vielen Jahren hat Berlin keinen so ungeheuer kompakten Menschenaufmarsch gesehen. Viele mag die Neugier nach so lange entbehrtem offiziellem Gepränge auf die Straße getrieben haben, bei der übergroßen Mehrzahl sieht man aber Ergriffenheit und innerlichste Teilnahme auf den ernsten Gesichtern. Eine Ergriffenheit, die das Toben und Rasen der Stadt zuletzt erstickt und zu feierlicher Stille zwingt.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 5.3.1925
Eine Friedrich=Ebert= Straße in Berlin. Der Magistrat hat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen, daß eine Hauptverkehrsstraße der Stadt Berlin Friedrich=Ebert=Straße genannt werden soll.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 21.3.1925
Die Ertüchtigung der schulentlassenen Jugend. Von volksparteilicher Seite ist im Reichstage beantragt worden, zur Erziehung eines gesunden und willensstarken Nachwuchses Gesetze vorzubereiten über die Ausdehnung der Turn= und Sportpflicht der schulentlassenen Jugend. Gefordert werden die Schaffung von Spielplätzen mit Reichshilfe, Förderung des Wanderns durch Ermäßigung der Eisenbahntarife und durch den Bau von Herbergen und Trink= und Rauchverbot für Jugendliche unter 18 Jahren.

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 24.3.1925
Die Verschmutzung der Gewässer eine Gefahr für die Gesundheit. Eine Gefahr für die Gesundheit der Berliner Bevölkerung bildet, wie das Wasserbauamt mitteilt, die in der Nachkriegszeit festgestellte Zunahme der Verschmutzung der Berliner Gewässer durch Unrat mancherlei Art. Die Gefahr würde um so ernster sein, wenn in einem heißen Sommer nur wenig Frischwasser aus den oberen Gebieten der Spree zu uns gelangen könnte. Die Polizeibeamten sind deshalb angewiesen, jeder Verschmutzung der Spree mit allem Nachdruck entgegenzutreten. Gleichzeitig wird aber auch an die Fabriken und an die Anwohner der Gewässer die dringende Mahnung gerichtet: »Werft den Unrat in die Müllkästen und leitet die schmutzigen Abwässer in die Abflußkanäle!«

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1925 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Ein unermüdlicher Verteidiger der Demokratie

Friedrich Ebert – Deutschlands erster demokratisch gewählter Präsident

Friedrich Ebert wird 1871 in Heidelberg als siebtes von neun Kindern eines Schneider-Ehepaares geboren und wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach seiner Ausbildung zum Sattler geht er auf die Walz, also auf die traditionelle Wanderschaft von Handwerks-Gesellen und erlebt dabei hautnah die Not der Arbeiterschicht.

Ebert Anfang der 1920er Jahre. Foto: historisch

In diesen Wanderjahren beginnt Ebert, sich politisch zu engagieren und tritt1889 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) bei, die sich später zur SPD entwickelt. 1905 wird er in den Parteivorstand der SPD gewählt, 1912 zieht er als Abgeordneter in den Berliner Reichstag ein, 1913 wird er zu einem der beiden Parteivorsitzenden gewählt. In dieser Funktion führt er die SPD durch den Ersten Weltkrieg, der seine Partei wegen der Billigung der Kriegskredite vor eine Zerreißprobe stellt.
In der Novemberrevolution 1918 spielt Ebert eine zentrale Rolle bei der Umwandlung des Deutschen Kaiserreichs in eine parlamentarische Demokratie. 1919 wird er zum ersten Reichspräsidenten gewählt. Sein oberstes Ziel ist es, die Weimarer Republik gegen antidemokratische Kräfte zu verteidigen.
Das bringt ihm die Feindschaft der antirepublikanischen Rechten ein, die ihn mit einer perfiden Verleumdungskampagne überzieht. Er wehrt sich juristisch dagegen. Wegen eines Prozesses läßt er eine Blinddarmentzündung zu spät behandeln. Ein tödlicher Fehler: Friedrich Ebert stirbt am 28. Februar 1925 mit nur 54 Jahren. Am 5. März wird er in Heidelberg unter großer Anteilnahme beigesetzt.
Mit ihm verliert die junge Demokratie ihren Vorkämpfer und einen ihrer konsequentesten Verteidiger.
Zu seinem Nachfolger wird im April 1925 Paul von Hindenburg gewählt, der kaiserliche Heerführer des Ersten Weltkriegs, Schöpfer der Dolchstoßlüge, ein Militär und Antirepublikaner. Unter seiner Präsidentschaft wird Hitler 1933 Reichskanzler, die Republik zerstört und damit das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte aufgeschlagen.

mr