Wo Weserkiez den Wildenbruch trifft
Dass die Weserstraße sich seit vor rund 20 Jahren zu einer attraktiven, vielfältigen Verlustigungsmeile entwickelt hat, ist längst international und manchem Anwohner leidlich bekannt. Auf den 1,7 Kilometern finden sich doch aber auch Ecken, wo das Zusammenspiel der Zeitgeiste noch ein Quäntchen mehr zu Tage und Nachte tritt –und beflügeln kann. An der Kreuzung zur nach Ernst Adem von Wildenbruch, einem vor 180 Jahren in Beirut geborenen Schriftsteller und Diplomaten, benannten Straße, werden fast rund um die Uhr alle Sinne bespielt.

Das »Wolf Kino«, im Februar 2017 eröffnetes Kiez-Programmkino mit zwei kuscheligen Sälchen und Berlinale-Bedeutung, ist auch kommunikatives Barcafé samt Mittagstisch. Die Filmauswahl ist qualitativ top und blockbusterfern, hier stehen das zeitgenössische künstlerische Filmschaffen, Historisches und kuratierte Programme, auch für Kinder, im Vordergrund. Ein Muss für Cinephilisten.
Das »Café Bäckerei Mona Lisa« gegenüber befriedigt schon morgens ab 7 Uhr solide jedwede Kaffee-, Kuchen-, Frühstücks-, Suppen-, Saft-, Vegan- oder Haferwünsche; hip, weil unbemüht unhip.
Das »K-Fetisch« über die (langphasige) Ampel rüber ist meist von 10 Uhr bis Mitternacht die Anlaufstelle für Menschen, die korrekt, links, queer-, trans-, feministisch offen und problembewusst leben und konsumieren wollen. Viel spannender, zumeist politischer Lesestoff, Spiele und glutenfreie Kuchen laden zum Verweilen und Diskutieren.
Vierter im Kreuzungsbunde ist die »Weser 58« aka »Heiners Bar«, erkennbar am Holzpferd im Fenster, die durch schummrige Stimmung und erdendes, dunkelholziges Interieur alte Berliner Kneipengeschichte und -geheimnisse bewahrt.

DJ-Musik, Rauchfreundlichkeit und prima Biere (wie vom Kreuzberger »Heidenpeter«), Weine und Getränke überhaupt sorgen für angenehm entspannte Aufenthalte alter Schule.
Queer, wenn auch bessergelaunt als bei den K-Fetischs, ist die Atmosphäre im »Sux« ein paar Häuser weiter in der Weserstraße. Das zuvor eher Punkige der rotlichtigen Kneipe ist moderat aufgeplüscht, die Laune gut und das Sortiment an guten, günstigen Drinks breit und jedem heiteren Kiezler geschlechtsunabhängig verfügbar. Kickern kann man bei den Boys auch, ungezwungen abhängen (und rauchen) sowieso.
Houserhythmen von Checker-DJs, Comedy, Karaoke, Livemusik, dazu Cocktails oder Neuköllner Biere vom Fass, im »Sisyfass« in der Wildenbruch 7 kann es bis in die Nacht aufregend werden. Die urig- rumpelige und detailverliebte enge Barkneipe mit ihren unverputzten Wänden, Discokugeln und dem Entenlogo weiß insbesondere moderne internationale Menschen bestens zu bespaßen. Nur Kartenzahlung, Rauchen erlaubt.
All das macht Hunger. Aber essen lässt sich es sich ringsum auch, und das vielfältig und transkontinental: indisch, sudanesisch, echt jemenitisch im »Mandy/Happy Jemen«, panasiatisch bei »Family Quán« – oder im einstigen Tapaslokal »On Egin« in der Wildenbruch 88, wo die jetzige Betreiberfamilie die üppigen Wraps (ab 4,50 Euro) und Bowls des afrikanischen Vorgängers »Kilimanjaro« mit eigenen vietnamesischen Imbissklassikervarianten mischt.
Und nur wenige Meter weiter wartet schon die nächste Entdeckung. Auch in dieser Ecke Rixdorfs ist eben immer Musike.
hlb