Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Neuköllner Tageblatt – Donnerstag, 1.1.1925
Die Berliner Bevölkerung hat durch Zuzug, besonders von Osten, zugenommen und die Zahl von 4 Millionen Seelen überschritten. Die größte Zunahme in den letzten vier Jahren sind zu verzeichnen in Charlottenburg, Wilmersdorf, Steglitz, Zehlendorf und Reinickendorf.
Neuköllnische Zeitung – Mittwoch, 7.1.1925
Ein neuer Konfektionsstern. Die Farbenskala der »Konfektionssterne« – Gelbstern, Blaustern usw. – ist um eine weitere Schattierung vermehrt worden. Bisher wurde vom Mannequin, auch von dem, der für besondere Größen geeignet sein mußte, eine gewisse Schlankheit gefordert. Aber es gibt auch wohlbeleibte Damen, die Kleider kaufen, und auch diese wollen beurteilen können, wie ihnen ein Kostüm steht. Man hat daher in Paris den Typ des dicken Mannequins, den sogenannten »Ultraviolettstern«, geschaffen, und das Erscheinen dieser umfangreichen Probierdamen gestaltete sich zu einem wahren Triumph. Bei einer Modevorführung wurden Modelle gezeigt, die von einem schlanken Mannequin und mit geschickten Abänderungen von einem dicken Mannequin getragen wurden, und die starken Damen fanden viel größere Begeisterung als die dünnen, denn die Frauen, die nicht über das vorgeschriebene Mindestmaß der Taille verfügen, waren entzückt, Kleider zu sehen, die zu ihren Figuren paßten.
Neuköllner Tageblatt – Freitag, 9.1.1925
Gegen den Vogelfang mit Schlingen. Das Fangen von Vögeln mit Schlingen ist nach dem Reichsvogelschutzgesetz vom 30. Mai 1908 allgemein untersagt. Die während der Kriegszeit ergangenen, anders lautenden Bestimmungen des damaligen Militärbefehlshabers bestehen nicht mehr zu recht. Trotzdem wird der Krammetsvogelfang mit Schlingen, das sogenannte »Drosseln«, wieder in größerem Umfange ausgeübt. Der Berliner Polizeipräsident hat sich aus diesem Grunde veranlaßt gesehen, seine Beamten zur schärferen Beachtung des Verbots anzuhalten.
Neuköllnische Zeitung – Dienstag, 13.1.1925
Kein öffentlicher Karneval in Berlin. Der Polizeipräsident hat eine Verfügung erlassen, die alle karnevalistischen Veranstaltungen unter freiem Himmel in Berlin verbietet. Auch das Tragen karnevalistischer Verkleidungen und Abzeichen, das Singen und Spielen karnevalistischer Lieder sowie das Werfen von Luftschlangen, Konfetti usw. ist untersagt. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafen bis zu 150 M. oder Haftstrafen geahndet. Der Bestrafung unterliegen Veranstalter und Teilnehmer.
Neuköllnische Zeitung – Dienstag, 20.1.1925
Wettbewerb für die Randbebauung des Tempelhofer Feldes. Der Geländestreifen, der sich östlich der Heimstättensiedlung des Tempelhofer Feldes an der Tempelhofer Chaussee entlang zieht, ist für den Hochbau vorgesehen und soll durch ein Turmhaus architektonisch betont werden. Für diese Aufgabe ist unter den in Berlin ansässigen Architekten ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben worden. Einige außerhalb Berlins wohnende namhafte Architekten sind besonders zur Teilnahme eingeladen. Ausgeschrieben sind ein erster Preis von 7000 M., ein zweiter Preis von 5000 M., ein dritter Preis von 3000 M., weitere 5000 M. soll das Preisgericht für Ankäufe verwenden.
Neuköllner Tageblatt – Mittwoch, 21.1.1925
Schützt die Weidenkätzchen! Ihr Honig und ihr Blütenstaub geben den Bienen im Jahre die erste Frühjahrs=Nahrung und bilden die Grundlage für die Entwicklung der Völker. Wer gern Honig ißt, schone deshalb die Weiden.
Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1925 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.
Probierdamen und Idealmaße
Fräulein Gelbstern normiert die Mode
Der farbige Stern auf einem Jackenärmel im Konfektionsgeschäft war um die Jahrhundertwende ein Zeichen für eine Kleidergröße und bezeichnete, mehr noch, den Typ Frau mit Idealmaßen, der diese Kleidung vorführen konnte.
Das Problem der Größen ist schon ziemlich lange Thema, ob es sich nun um Zahlen oder Buchstaben handelt. Solange es konfektionierte Kleidung gibt, wird versucht, diese zu vereinheitlichen, eine Zeitlang eben durch bunte Sterne, eine Größeneinheit, die die Gebrüder Manheimer im Berliner Modeviertel am Hausvogteiplatz entwickelten.
»Fräulein Gelbstern« hatte Idealmaße, »Fräulein Blaustern« eine Backfischfigur, rote, grüne und weiße Sterne markierten die Kleidermaße älterer Damen. Die Idealmaße jener Zeit entsprachen einer halben Oberweite von 44 und einem Hüftmaß von 110 Zentimetern und daher einer Größe, die wir heute mit einer »44er Figur« bezeichnen. Das Idealmaß war also etwas anders als wir es heute gewohnt sind.
Die Kundinnen probierten nicht selbst an, das Umziehen in einer Umkleide im Kaufhaus wäre unschicklich gewesen. Deshalb gab es »Probierdamen« – so wurden die Models in den 20er Jahren genannt – die die Kleider den Kundinnen vorführten. Je nach Figur der Kundin gab es passende »Probiermamsells«, die ihrer Maße entsprechend nach den Sternen benannt wurden.
Schnell wurde aus dem »Fräulein Gelbstern« auch eine Figur, um die sich zahlreiche Lieder, Theaterstücke und literarische Erzählungen rankten. Die Probierdamen hatten den Ruf, leichtsinnige Geschöpfe zu sein, denen es hauptsächlich darum ging, sich von Männern aushalten zu lassen.
Die Größeneinteilung nach Sternen verliert sich Ende der 1920er Jahre. Die Kleidergrößen wurden seitdem nur noch in Nummern benannt. Aus den »Probierdamen« wurden »Mannequins«, ein Begriff, der aus dem Französischen stammt und in der wörtlichen Übersetzung »Glieder- oder Schaufensterpuppe« bedeutet. An solchen Puppen wurden ursprünglich die Kleider gezeigt.mr