Weniger Bürokratie und mehr Wohnungen?
Während in den Flächenländern die Kleinstädte veröden, hat Berlin ein »Schneller-Bauen-Gesetz« beschlossen. Darin werden den Bezirken kurze Genehmigungsfristen auferlegt, und bei strittigen Projekten übernimmt gleich der Senat. Aber es gibt viel Kritik.
Was soll sich ändern? Mit einem »Artikelgesetz« wird in diverse andere Gesetze eingegriffen und dem Wohnungs- und Schulbau Vorrang eingeräumt.
Zuständigkeiten: Das Eingriffsrecht des Senats beziehungsweise der Senatsbehörden gegenüber den Bezirken – insbesondere bei städtebaulichen Projekten – wird betont. (Strittige Genehmigungsverfahren sollen auf Senatsebene entschieden werden.) Allerdings fehlt die »Sachnähe« der bezirklichen Ämter.
Gesamtstädtisches Interesse: Der Senat kann bereits Bauvorhaben ab 50 Wohnungen an sich ziehen – auch gegen den Willen der stärker an einer einvernehmlichen Planung orientierten Bezirke.
Genehmigungsfiktion: Wenn Bezirke nicht innerhalb eines Monats einen vollständigen Bauantrag entscheiden oder die Frist begründet verlängern, gilt er als genehmigt.
Bürgerbeteiligung: Durch zeitlich verkürzte Verfahren werden die Mitwirkungsmöglichkeiten von Mieter- und Naturschutzorganisationen eingeschränkt. Sie verstärken Rechtsunsicherheit und Politikverdrossenheit.
Denkmalschutz: Neu ist die Verpflichtung, denkmalrelevante Wohnungs- und Infrastrukturprojekte der oberen Denkmalschutzbehörde im Vorfeld bekanntzumachen. Die obere Denkmalbehörde ist bereits vom Kultur- zum Bausenat umgezogen. Sie entscheidet bei größeren Bauvorhaben und kann Abrißgenehmigungen erteilen – zum Beispiel für Karstadt am Hermannplatz.
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Berliner Standards werden abgesenkt. Die Verpflichtung zur Durchführung entfällt praktisch beim Straßenneubau. Kleine Waldflächen bedürfen vor Bebauung keiner UVP mehr. Das betrifft auch das Wäldchen auf dem ehemaligen Emmaus-Kirchhof.
Naturschutz: Ausgleichsmaßnahmen können zeitverzögert und außerhalb Berlins in Brandenburg erfolgen. Notwendig ist aber eine klimaangepasste Stadt mit Maßnahmen vor Ort und einem hohen Baum- und Biotopschutz, der Verluste möglichst nicht entstehen läßt.
Was fehlt? Aussagen zur zusätzlich benötigten Infrastruktur über Schulen und Kitas hinaus wie beispielsweise zum ÖPNV gibt es nicht. Der voraussichtliche Personalbedarf beim Senat wird unterschätzt. Eine Zielvorgabe von 20.000 Wohnungen pro Jahr ist irreal. Denn Berliner Bauflächen sind rar, Grundstücke und Bauleistungen teuer. Bürger stehen Verdichtung, Grünverlust und Bauherreninteressen kritisch gegenüber.
Und wer will was bauen? Investoren beantragen Kleinstappartements, in der Vermietung teuer wie Hotelzimmer und gern am S-Bahnring. Oder Zeilenbauten für Eigentumswohnungen samt locker gestellten Stadtvillen im Wäldchen dahinter (Mariendorfer Weg). Die Bezirke versuchen, mit dem Neuköllner Modell gegenzuhalten und bei »Überausnutzung« eines Grundstücks als Kompensation 30 Prozent soziale Mietwohnungen durchzusetzen.
Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften erweitern ihre Bestände auf eigenem Grund. Mal mit gutem Erfolg durch Aufstockungen und Anbauten (Gropiusstadt). Oder durch Verdichtung in den grünen Innenhöfen (Kormoranweg) und Siedlungsbau auf dem Acker (Buckow) was zu Protesten führte. Allerdings ist der Anteil bezahlbarer Wohnungen immer noch zu gering. Die Miete müßte mehrheitlich unter zehn Euro pro Quadratmeter warm liegen statt doppelt so hoch.
Was wird gebraucht und ist wie durchsetzbar? Notwendig für Berlin sind geförderte kommunale Wohnungen, die dauerhaft preislich gebunden bleiben. Projekte privater und kommunaler Akteure sollten an strikte Vergabekriterien gebunden werden wie in Wien.
Manches im neuen Gesetz wirkt dagegen wie eine Reaktion auf aktuelle Konflikte. Die SPD will damit das Tempelhofer Feld bebauen, die Grünen sehen Mißtrauen und Disziplinarmaßnahmen gegenüber den Bezirken und die Linke den Berliner Baufilz wieder auferstehen.
Ein »Durchregieren« des Senats mittels Verlagerung der Entscheidungskompetenz nach »oben« ist nicht die Lösung. Denn steuern heißt, gemeinsam Ergebnisse erarbeiten, hinter denen möglichst viele stehen und die auch nach Jahrzehnten städtebaulich, sozial und klimatisch vertretbar sind.
Marlis Fuhrmann