Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Donnerstag, 4.12.1924
Die ersten Havannazigarren werden nach Aufhebung der Einfuhrsperre in den nächsten Tagen in Deutschland eintreffen. Sie werden pro Stück 5 Mark und mehr kosten. Die Einfuhr ist in der Weise freigegeben worden, daß den Firmen, die vor dem Kriege Havannazigarren einführten, auf Antrag ein Einfuhrkontingent bewilligt wurde.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 11.12.1924
Die wilden Radfahrer. Die ständig eingehenden Beschwerden über rücksichtsloses Fahren von Radfahrern haben erneut Veranlassung gegeben, die Polizeibeamten zu einer strengeren Ueberwachung des Radfahrverkehrs anzuhalten. Es ist u. a. beobachtet worden, dass die Radler wohl Klingelzeichen abgeben, dann aber in rücksichtsloser Weise an Personen und Fahrzeugen, ja sogar an den Haltestellen der Straßenbahnen und Omnibusse vorbeifahren.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 20.12.1924
Die Epidemie des Bubikopfes. Die in den letzten Tagen bei der Berliner Polizei erstatteten zahlreichen Anzeigen über die Tätigkeit eines Zopfabschneiders sind von der Kriminalpolizei aufgeklärt worden. Die Täter sind die betreffenden Mädchen selbst, die auf eindringliches Verhör hin gestanden, sich das Haar selbst abgeschnitten zu haben, um auf diese Weise von ihren Eltern die Erlaubnis zum Tragen des Bubikopfes zu erzwingen.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 29.12.1924
Die Zwölften. Die Zwölften heißen die zwölf Nächte von Weihnachten bis zum 6. Januar, dem Dreikönigsabend. Sie umschließen die geheimnisvollste Zeit des Jahres; allerhand Spuk aus uralter Zeit kriecht in die aufgeklärte Gegenwart und läßt sich durch den hellen Glanz des Christbaumes und die frommen Weihnachtslieder nicht verscheuchen. In den zwölf Tagen soll man sich nach Möglichkeit jeder Arbeit enthalten; besonders darf die Hausfrau nicht waschen oder gar Wäsche zum Trocknen aufhängen. Den Zwölften liegt vielleicht das Wintersonnenwendefest der Germanen, das in der Regel zwölf Tage dauerte, zugrunde; die Bewohner Walhallas, Wotan voran, hielten dann ihre Umzüge auf der Erde. In manchen Gegenden ist Wodan zum wilden Jäger geworden, der zu dieser Zeit mit seinem wütenden (Wuotans) Heer über die kahlen Wipfel der Bäume prasselt. Im Harz und in Thüringen werden in den Zwölften faule Mägde und unartige Kinder von Frau Holle gestraft. Bedeutungsvoll sind die Zwölften für das Geschehen im kommenden Jahre; was man in den zwölf Nächten träumt, soll sich in den entsprechenden Monaten erfüllen. Außerdem sagt das Wetter jedes der zwölf Tage das Wetter der Monate an.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 31.12.1924
In Großberlin gibt es bekanntlich fertiggestellte anbaufähige Straßen in großer Zahl. In diesen Straßen könnten sogar Tausende von Häusern errichtet werden. Erkundigt man sich danach, weshalb an diesen fertigen Straßen nicht schon längst gebaut worden ist, dann erhält man die sonderbarsten oft ganz wunderlichen Antworten. Am häufigsten ist die, dass die Behörden Schwierigkeiten machen, weil nur Hochbauten, für die das Kapital fehlt zugelassen werden; daß es an Baukapital mangelt und Hypotheken nicht zu erlangen sind. Die Lust zum Bauen ist schon da, an Bauland fehlt es keineswegs, es ist sogar im Ueberfluß vorhanden und trotzdem herrscht eine entsetzliche Wohnungsnot, die das Volk degeneriert, weil den meisten Baulustigen Knüppel zwischen die Beine geworfen werden und sie dann schnell jede Lust verlieren. Tausende von Bauplänen kommen deshalb nicht zur Ausführung.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1924 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Zeit der Geister und Dämonen

Rauhnächte – die magischen Tage zwischen den Jahren

Die zwölf heiligen Nächte oder auch Rauhnächte gelten seit jeher als eine besondere, eine mystische Zeit. Eine Zeit des Innehaltens.
Sie gehen zurück auf den Übergang vom Mond- zum Sonnenkalender. Da das Mondjahr mit 354 Tagen etwas kürzer ist als das Sonnenjahr, bleiben 12 Nächte »übrig« die »Zeit zwischen den Jahren«.
In diesen oft stürmischen Winternächten brach Germanengott Wotan auf seinem achtbeinigen Pferd Sleipnir und begleitet von seinen Raben mit den Toten zur wilden Jagd auf. Denn in dieser Zeit steht nach altem Volksglauben das Geisterreich offen. Die Geister und die Seelen der Verstorbenen haben Ausgang in die Welt der Lebenden, und dunkle Mächte herrschen über die Erde.
Es gilt sich zu schützen in diesen Tagen. Die Fenster und Türen müssen geschlossen bleiben, denn finden die Reiter einen Weg ins Haus, nehmen sie eine Geisel mit. Die Wäsche muss ins Haus geholt werden, denn verfängt sich ein Geist in einem Wäschestück, wird daraus nach zwölf Monaten ein Leichentuch. Böse Geister fühlen sich in Chaos, Unrat und allgemeiner Unordnung am wohlsten. Daher sollten Haus und Hof aufgeräumt sein, so dass (fast) alle Arbeit wirklich ruhen kann.
Hält man sich an die Schutzmaßnahmen, geht die Jagd vorüber, ohne Schaden anzurichten.

»Die Wilde Jagd« von Peter Nicolai Arbo.

Ein weiterer Brauch der Rauhnächte ist das Räuchern mit bestimmten Kräutern und Harzen, wodurch Haus und Hof samt seiner Bewohner vor Unheil geschützt werden sollten. Die Kräuter für dieses Ritual werden das Jahr über gesammelt und an Mariä Himmelfahrt in der Kirche geweiht. War diese Praxis noch vor hundert Jahren allgemein üblich, erinnern heute daran nur noch die Räuchermännchen.
Die traditionellen Perchtenzüge im Alpenraum sind eine deutliche Nachahmung der wilden Jagd. Hier ist es Frau Percht, die mit ihrem Gefolge in Pelze gehüllt und mit gruseligen Tiermasken lärmend durch die Dörfer zieht, um das Böse zu vertreiben und Krankheit und Tod von Mensch und Tier fernzuhalten.
Nach altem Volksglauben sind die Rauhnächte auch zum Erstellen von Orakeln sehr geeignet. An Silvester wird dieser Glaube in Form des Blei­gießens bis heute gepflegt.

mr