Gedenken an ein anarchistisches Powerpaar

Stolpersteine für Rudolf Rocker und Milly Witkop

In der Nachbarschaft Erich Mühsams lebten seit 1932 zwei seiner anarchistischen Freunde, die Jüdin Milly Witkop und ihr Lebensgefährte Rudolf Rocker. Ihnen gelang unmittelbar nach dem Reichstagsbrand die Flucht in die USA. Nach Europa kehrten sie nie wieder zurück.
Am 12. Juli wurden zwei Stolpersteine für das dem Anarchosyndikalismus verpflichtete Paar vor ihrem letzten freigewählten Wohnort in der Buschkrugallee 246 verlegt.

Stolpersteine gegen das Vergessen.Foto: mr

Rudolf Rocker und Milly Witkop lernten sich als politisch aktive Anarchisten 1895 in der jüdischen Gewerkschaftsbewegung in London kennen.
Nach Kriegsausbruch 1914 agitierten die Anarchosyndikalisten gegen den Krieg und den damit verbundenen Nationalismus und Militarismus. Ihre Begründung: Der Unterschied zwischen den Kriegsparteien sei kein inhaltlicher, sondern beide Seiten verkörperten gleiche kapitalistische Unterdrückungsregime. Daher müssten Anarchisten dem kriegerischen Treiben generell ablehnend gegenüberstehen und in allen Staaten gegen den Krieg mobilisieren.
Zurück in Deutschland organisierten Rocker und Witkop gemeinsam den Aufbau der »Freien Arbeiter-Union Deutschlands« (FAUD). Sie ent­hielt die anarchistischen Grundforderungen Antimilitarismus, Föderalismus und Antiparlamentarismus. Seine Genossin Milly Witkop wurde innerhalb der FAUD zu einer der treibenden Kräfte der syndikalistischen Frauenbewegung und gab mit anderen Frauen zusammen die Beilage »Der Frauenbund« in der Zeitschrift »Der Syndikalist« heraus. Die Frauen forderten Sexualaufklärung, ungehinderten Zugang zu Verhütungsmitteln, die Abschaffung des Paragraphen 218. Grundsätzlich sollten Frauen über ihre Körper selbst bestimmen. Es ging ihnen aber nicht um den Bruch mit den Männern, die Befreiung aller Menschen war für sie nur geschlechterübergreifend denkbar.
Nach ihrer Flucht aus Deutschland ließen sich Milly Witkop und Rudolf Rocker in der 50 Kilometer von New York entfernten anarchistisch ausgerichteten Mohe­gan-Kommune am Ufer des Lake Mohegan nieder.
Die Verfolgung und Ermordung des europäischen Judentums änderten die Einstellung des Paares zum Krieg. Sie stellten sich auf die Seite des bewaffneten Antifaschismus, weil ihrer Auffassung nach dem Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten mit den bislang bekannten moralischen Maßstäben eines kategorischen Pazifismus und einer grundsätzlichen Antikriegshaltung nicht länger beizukommen sei.
Milly Witkop starb 1955, Rudolf Rocker überlebte seine Lebensgefährtin um drei Jahre. Ihr gemeinsames Grab liegt im Ort ihrer letzten Wirkungsstätte, in Cromport/USA.

mr