Von der Industriebrauerei mit Ausschank zum multifunktionalen Standort mit Denkmal
Die Rollberg-Brauerei begann 1872 als Genossenschaft zur Versorgung Neuköllner Gaststätten mit Fassbier. Dazu kamen Festsaal und »Konzertgarten« an der Hermannstraße. Der Ausbau zur Industriebrauerei fand 1930 seinen Höhepunkt im neuen Wasserturm samt Sudhaus, Hochgärkeller und Wohlfahrtsgebäude. Das Ganze technisch innovativ, im Äußeren an Rekonstruktionen nüchterner kleinasiatischer Ziegelarchitekturen orientiert – von Babylon zur Moderne.
Nach Aufgabe des Festsaalbetriebs 1989 folgte gegen den Abstieg zum Spielhallen- und Rotlichtviertel die Entwicklung von Kindl-Boulevard und Bürokomplex. Das Einkaufszentrum funktionierte bis zur Konkurenz durch die Neukölln-Arkaden. Den Büroleerstand beseitigte das einziehende Arbeitsamt. Den Altbau nutzen Woolworth und Supermarkt.
Auf dem Stammgrundstück orientierte man sich nach dem Zweiten Weltkrieg an der eigenen Bautradition und setzte bei Um- und Neubauten wie der Preusshalle wieder Klinker ein. Nach der Standortschließung 2007 wurde das Areal verkauft sowie – durch einen ersten Wettbewerb legitimiert – eine dichtere Bebauung samt Hochhäusern vorgesehen und durch Abrisse Baufreiheit geschaffen.
Doch weder Investor noch Stadtentwicklungsamt mit einem korrigierenden Bebauungsplan konnten sich durchsetzen. Neben schlichten medizinischen Praxisbauten entstanden »nur« 130 hochpreisige Eigentumswohnungen. In die verglaste Preusshalle – wo eine Sportnutzung sinnvoll gewesen wäre – zog ein Supermarkt. Die vom Bezirksamt vorgesehene Bildungseinrichtung oder das Einkaufszentrum im Vollgutlager kamen nicht.
Zum Anker wurde das Kulturdenkmal Sudhaus und seine museale Nutzung. Durch Abrisse in der unmittelbaren Umgebung wie dem Hochgärkeller und zuletzt der alten Verwaltung von 1872 wird sein Wert allerdings gemindert.
Der Kauf des Großteils des Areals durch eine gemeinwohlorientierte Stiftung 2011 ermöglichte Einzelprojekte. Dazu gehören alternative Gesundheits- und Entwicklungspolitik (Alltag und Global Village), energetisch optimiertes Wohnen (Circular House) sowie projektierte Event- und Dienstleistungen (Vollgut). Ein Werkstattverfahren 2021 lieferte insbesondere Entwürfe zur Belichtung des Kellersystems im Hang und für Teile der Freiflächen.
Was fehlt, ist eine erneute Auseinandersetzung mit dem gesamten Gelände und ein nüchterner Blick auf seine »Neuköllntauglichkeit«. Dazu gehört das reale (und das optische) Zusammenführen der sehr unterschiedlichen Anbieter – vom stark frequentierten Supermarkt bis zum woken Dienstleister. Für ihre Nutzergruppen braucht es wenigstens ein gemeinsames Freiraumkonzept einschließlich eines gestalteten Parkplatzes und Zufahrten und ein Festhalten an der Idee von ineinander übergehenden Stadtplätzen als Begegnungsraum. Wir müssen reden über künftige Fassadengestaltung und verträgliche Werbung, über öffentliche Durchwegung, Kindl-Treppe und Fahrstuhl, über Beleuchtung und Pflege, über soziale Kontrolle und die Einbindung in den Bezirk.
Marlis Fuhrmann