Neuköllner Pilotprojekt zieht erste Bilanz
Vor etwa einem Jahr ging in der Neuköllner Walter-Gropius-Schule ein außergewöhnliches Bildungsprojekt an den Start. Das »Talentscouting«, das gemeinsam mit dem Bezirk, der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI) auf den Weg gebracht wurde, soll jungen Menschen helfen, ihre unentdeckten Potenziale und individuellen Stärken aufzuspüren. So soll die Chancengerechtigkeit beim Zugang zur Berufsausbildung und zum Studium, unabhängig von der sozialen Herkunft erhöht werden.
Die Idee dazu brachte Annette Berg, Vorstandsvorsitzende der Stiftung SPI aus Nordrhein-Westfalen mit, wo inzwischen mehr als 30.000 Jugendliche von der Arbeit der über 100 Talentscouts profitiert haben, die an 600 Schulen unterwegs sind.
Neukölln fängt erst mal klein an. Als bisher einziger Talentscout betreut Timo Volkmann inzwischen rund 80 Jugendliche an vier Schulen.
Am 6. November trafen sich mehr als 100 Teilnehmer aus Schulen, Unternehmen und Studienförderwerken im »Spore« Haus in Neukölln, um sich über das Projekt auszutauschen und eine erste Bilanz zu ziehen.
Es gehe hier weder um Hochbegabtenförderung noch um die Reparatur von Defiziten, erklärte Annette Berg. Es sollen die erreicht werden, die allgemein weniger sichtbar seien, »die im Mittelfeld schwimmen und wenig Unterstützung seitens der Familie erhalten«, ergänzte Karin Korte, Neuköllner Schulstadträtin.
»Immer noch entscheidet die Herkunft in diesem Land über die Bildungschancen der Jugendlichen«, führte Aladin El-Mafaalani, Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft am »Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien« an der Universität Osnabrück, aus. Unter 100 Studierenden seien in Deutschland 77 Akademikerkinder, aber nur 23 Arbeiterkinder. Niedriges Familieneinkommen, schwierige soziale Rahmenbedingungen und ein eher niedriger Bildungsabschluss der Eltern seien die wesentlichen Gründe, weshalb auch talentierte Schülerinnen und Schüler beim Übergang von der Schule in die Ausbildung oder das Studium oft scheitern. Talentscouting führe dazu, dass soziale Ungleichheit reduziert werde, weil es dadurch mehr junge Menschen ohne akademischen Hintergrund an die Universitäten schaffen. Umgekehrt nehmen Akademikerkinder nach diesen Programmen häufiger eine Ausbildung auf. Es gehe aber nicht nur um Bildungsgerechtigkeit, sondern schlicht um eine ökonomische Notwendigkeit. »Wir können auf kein Kind verzichten.«
Wie ihnen der Talentscout geholfen hat, schilderten eindrucksvoll drei Jugendliche, die im Gespräch mit Volkmann über ihre Erfahrungen berichteten. Ohne diese Unterstützung hätten sie nie den Mut gefunden, sich beispielsweise um ein Stipendium zu bewerben, ein Studium zu beginnen oder für sich eine Leitungsposition in einem Unternehmen auch nur in Erwägung zu ziehen. Ihnen fehlte schlicht das Selbstvertrauen.
Jetzt sei es an der Politik, das Projekt flächendeckend auf ganz Berlin auszudehnen, forderte Lars Neumann, Schulleiter der Walter-Gropius-Schule. Was in NRW klappe, sollte auch in Berlin funktionieren, zeigte sich Karin Korte optimistisch.
mr