Eine andere Welt über Schule hinaus

Talentscouting funktioniert wie ein Spiegel

Die Schule ist ein System des Lernens. Wissen wird vermittelt, Wissen wird geprüft, der Stand des Wissens wird mit Noten von eins bis sechs bewertet, in vielen Fächern. Die Schule ist dabei auch ein Ort, hinter dem sich soziale und familiäre Verhältnisse befinden. Die Noten spiegeln nicht komplett wider, was eine Schülerin oder ein Schüler an Potential besitzt – zumal dieses oft nicht entdeckt wird. Klassengrößen von bis zu 30 Schülerinnen und Schülern bieten dem pädagogischen Personal wenig Spielraum für individuelle Förderung.

Timo Volkmann.      Foto: Ronja Polzin

An dieser Stelle greift Timo Volkmann ein. Seit Oktober 2022 arbeitet er als Talentscout an der Neuköllner Walter-Gropius-Schule und zwei weiteren Schulen im Bezirk. Der zertifizierte systemische Coach und Mediator, so seine Berufe, fördert aktuell 60 Schülerinnen und Schüler aus weniger privilegierten Familien in individuellen Beratungen. Die von ihm begleiteten jungen Menschen nennt er »Talente«. Seine Arbeit beginnt zwei bis drei Jahre vor dem Schulabschluss, in der Regel also in der Oberstufe. Wenn von den Talenten gewünscht, begleitet er diese bis zum Berufseinstieg.
»Ich werde niedrigschwellig und auf Augenhöhe tätig. Mein wesentlicher Vorteil ist, ich muss nicht bewerten, ich vergebe keine Noten. In meinen Beratungen stelle ich Fragen, die die Talente oftmals zum ersten Mal hören. Wie etwa: Was treibt Dich im Leben an? Welche Wünsche und Träume hast Du? In unseren Gesprächen wird dann deutlich, über welche Kompetenzen die Talente verfügen, die sich eben nicht in Noten widerspiegeln.« Timo Volkmann nennt zahlreiche Talente, die mit seiner Unterstützung ihre verborgenen Fähigkeiten entdecken, Wege finden, Ziele und Visionen zu realisieren sowie neue Erfahrungen außerhalb der Schule sammeln.
Viele von ihnen sind die ersten aus ihrer Familie, die studieren wollen oder die aufgrund ihrer sozialen Herkunft größere Hürden auf dem Weg zu ihrem Traumberuf überwinden müssen.
,Doch es gibt diverse Förderprogramme und Stipendien, die die Talente auf ihrem Bildungsweg finanziell und ideell unterstützen können. Als Talentscout kennt sich Volkmann damit aus.
Er berichtet etwa von einem Schüler, der mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet ist. An Wochenenden hat er eine Ausbildung zum Schulsanitäter gemacht. So ist er nun in der Schule mit einem Erste-Hilfe-Koffer unterwegs und kümmert sich um seine Mitschülerinnen und Mitschüler. »Hier kommen gleich mehrere soziale Kompetenzen zusammen: Empathie, Hilfsbereitschaft sowie Verantwortung. Solche engagierten Menschen, die sich für andere einsetzen, sind es doch, die wir für unsere Gesellschaft wollen. In diesem Fall habe ich das Talent auf ein Schülerstipendium aufmerksam gemacht, auf das es sich beworben hat. Ohne Talentscouting würde viel Potential brachliegen.«
Ermöglicht wird Timo Volkmanns Arbeit durch zwei Träger: Die Stiftung SPI und das Bezirksamt Neukölln. Die Direktorin und Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Annette Berg, stellt fest: »Das Talentscouting wird schon seit 2011 in Nordrhein-Westfalen erfolgreich umgesetzt, wie die Evaluation durch das Wissenschaftszentrum Berlin und die Uni Köln belegen. In Neukölln haben wir mit Bezirksstadträtin Karin Korte eine starke Partnerin gefunden, um das Projekt gemeinsam beispielgebend für Berlin zu initiieren.«
Volkmann ergänzt: »Dass unser Pilotprojekt bereits nach wenigen Monaten Erfolgsgeschichten hervorbringt, erlebe ich immer wieder in meinen Beratungen. Ich fungiere dabei auch als eine Art Spiegel. Wenn mir Talente von ihren neuen Erfahrungen berichten, spreche ich das Sichtbare aus: Du hast gerade so richtig gestrahlt.«

th
https://www.stiftung-spi.de/service/projekte/detail/talentscouting