Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Neuköllner Tageblatt, Freitag, 1. 6. 1923
Ein grober Exzeß spielte sich dieser Tage in der Thomastraße ab. Ein Geschäftsmann M. aus der Bergstraße, der etwas über den Durst getrunken hatte, fuhr mit seinem Einspänner übermäßig schnell die Thomasstraße entlang und hieb fortgesetzt unbarmherzig auf das Pferd ein. Ein Schupobeamter verfolgte ihn und forderte ihn zum Halten auf. Erst nach einiger Zeit kam M. der Aufforderung nach, als aber der Beamte einen Ausweis verlangte, wurde M. rabiat, beschimpfte den Beamten auf gröblichste und griff denselben schließlich tätlich an. Schließlich gelang es dem Beamten jedoch, den Exzedenten zu überwältigen und nach der Wache zu bringen. Der Vorfall hatte einen größeren Auflauf zur Folge und wird ein Nachspiel vor dem hiesigen Schöffengericht haben.
Neuköllner Tageblatt, Sonnabend, 9. 6 1923
Ein Millionenmarkschein. Die »Voss. Ztg.« berichtet: Auf Anregung aus landwirtschaftlichen Kreisen will die Reichsbank im Juli einen Millionenmarkschein herstellen, und zwar gleich nach der Ausgabe des Funfhunderttausenders. Für die Landwirtschaft würde dieser Schein eine außerordentliche Erleichterung bei ihren Milliardenzahlungen im Getreide= und Viehhandel bedeuten.
Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 12. 6. 1923
Der Zentralflughafen auf dem Tempelhofer Feld. In diesen Tagen soll nun endlich mit dem Bau des Zentralflughafens auf dem Tempeihofer Feld begonnen werden. Zunächst werden die Unterkunftsräume für das Büropersonal und die Maschinenschuppen errichtet. Gleichzeitig wird man die Planierungsarbeiten für die Start= und Landungsbahn in Angriff nehmen. Man hofft, daß Ende Juli der Hafen in Betrieb genommen werden kann.
Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 12. 6. 1923
Dringende Warnung an Gastwirte. Der Berliner Polizeipräsident teilt mit: »Angehörige verbotener Organisationen (z. B. der proletarischen Hundertschaften, der Deutsch=Völkischen Freiheitspartei usw.) veranstalten häufig trotz der Verbotes Zusammenkünfte in Gastwirtschaften. Der Gastwirt, der sein Lokal zu solchen Zusammenkünften hergibt, setzt sich nach § 19 Abs.2 des Republik=Schutzgesetzes schwerer Gefängnisstrafe aus. Außerdem hat er Einschreiten im Verwaltungswege zu gewärtigen. In Zukunft wird der Polizeipräsident von Berlin für jede Gastwirtschaft, die im Verdachte der Duldung verbotener Zusammenkünfte steht, die Polizeistunde auf 7 Uhr abends herabsetzen und unter Umständen auch die Beschlagnahme der Schankräume auf Grund des Notgesetzes vom 23. Februar d. J. veranlassen.«
Neuköllnische Zeitung, Donnerstag, 14. 6. 1923
Familientragödie aus Nahrungssorgen. Im Hause Beermannstraße 10 wurden gestern nachmittag die 31 Jahre alte Frau Emma B. und ihre beiden 4 und 1½ Jahre alten Kinder mit Gas vergiftet besinnungslos aufgefunden. Die Feuerwehr wurde herbeigerunfen und stellte Wiederbelebungsversuche an, die bei der Frau und ihrer vierjährigen Tochter Erfolg hatten. Bei dem 1½ Jahre alten Knaben konnte jedoch nur noch der Tod festgestellt werden. Wie ermittelt wurde, hat die Frau, die im Urban=Krankenhaus Aufnahme fand, aus Nahrungssorgen den Selbstmordversuch unternommen.
Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 21. 6. 1923
Allmählicher Untergang des Wäschereigewerbes. Viele Hausfrauen, die früher die große Wäsche aus dem Hause gaben, können Geld hierfür nicht mehr erschwingen. Infolgedessen sind zahlreiche Wäschereien in der Berliner Umgebung, auch bekannte Firmen in Köpenick, gezwungen gewesen, ihren Betrieb gänzlich einzustellen und die Räume für andere Zwecke zu vermieten. Darunter befinden sich Firmen, die seit langen Jahrzehnten bestanden haben. Nur noch selten sieht man die Wäschewagen, die sonst auf der Großstadtstraße eine alltägliche Erscheinung waren.
Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1923 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.
Berlin baut einen Flughafen in fünf Monaten
Der Zentralflughafen Tempelhof geht an den Start
Am 21. Februar 1923 beschloss der Berliner Magistrat, den Tempelhofer Flughafen zu bauen. Im Juni begannen die Bauarbeiten. Am Kreuzberger Rand des Tempelhofer Feldes wurde ein 700 mal 1.000 Meter großes Areal planiert und damit Startbahnen für den Linienverkehr ertüchtigt.
Erhöhungen von bis zu vier Metern und Vertiefungen von bis zu fünf Metern sowie der leichte Abfall des Areals nach Süden hin mussten ausgeglichen werden. 140.000 Kubikmeter des Aushubs der gerade im Bau befindlichen Verlängerung der Nord-Süd-U-Bahn (heutige Linie U6) wurden dafür verwendet, was knapp der Hälfte des benötigten Füllbodens entsprach. Zudem wurde für längere Zeit der Berliner Müll auf das Flughafengelände gebracht: 18.000 Fuhren Müll bildeten die Füllmasse für den Untergrund des Geländes.
Gleichzeitig errichteten Zimmerleute aus Holz zwei kleine Hangars und ein 200 Quadratmeter großes Verwaltungsgebäude. Die beiden Luftfahrtunternehmen »Junkers« und »Aero Lloyd» teilten sich dann die beiden je 1.000 Quadratmeter großen Flugzeughallen. Sie hatten dem Magistrat sogar die Baukosten vorgeschossen. Dafür bekamen sie einen Flughafen mitten in der Stadt.
Die Bauzeit – fünf Monate! Am 8. Oktober 1923 nahm das internationale Luftkreuz mit Busanbindung, der Zentralflughafen Tempelhof mit dem Start der flugplanmäßigen Flugzeuge nach Königsberg und München seinen Betrieb auf.
Der weitere Ausbau folgte sehr bald. Das erste richtige Abfertigungsgebäude (Zugang am heutigen Columbiadamm) und weitere Flugzeughallen wurden errichtet. Ab 1927 hatte der Flughafen Tempelhof einen eigenen U-Bahn-Anschluss, das gab es nirgendwo sonst auf der Welt.
mr