Wo Bier auf Bildung und Begegnung trifft
Beisl oder Beiserl werden vor allem im südlichen deutschsprachigen Raum einfache Gasthäuser genannt. Der Begriff stammt wohl vom tschechischen »pajzl« (Kneipe) sowie dem jiddischen »bajiss« (Haus) ab, das wiederum aufs hebräische »bajit« = Haus zurückgeht. Das »Bajszel«, das Mitte Juni letzten Jahres am nach der prägenden Jugendrichterin Kirsten Heisig benannten Platz an der Feuerwache an der Emser Straße, wo sich einst die Kneipe »Zum Steckenpferd« befand, eröffnet wurde, ist eine solch echte Kneipe, und zwar eine gute und besondere.
Außer vielen günstigen Getränken (zum Beispiel vier gute Fassbiere ab noch 3,50 Euro/0,5 Liter, Wein auch ab 3,50 pro 0,2), Kaffee und Kuchen (Nachmittagsbetrieb ist in Planung, gerade auch für die Schüler im Kiez), gibt es kleine Happen wie Schmalzstulle oder das Hausgericht, camenbertigen »Hermelin«.
Im täglich(!) geöffneten Lokal findet ein spannendes und engagiertes Veranstaltungsprogramm statt: Von Lesungen, Vorträgen, Film- und Buchvorstellungen samt anschließenden Diskussionen können sich gesellschaftlich Interessierte und danach noch mehr für ein für alle besseres Leben Engagierte mit Interessenfokus auf Themenbereiche wie Gesellschaft, Geschichte, Politik, Soziologie und Philosophie zu Gedanken und Unterhaltungen anregen lassen.
In der monatlichen »Jungle Bar« lädt die Redaktion der »Jungle World«-Wochenzeitung zum Austausch über aktuelle politische Themen, andere Abende machen den Gästen das Leben in bekriegten und unterdrückten Gebieten wie der Ukraine, Afghanistan oder dem Iran ansatzweise vorstellbar. Ob Entwicklung und Zustand des Kolonialismus, Imperialismus, Faschismus oder Rassismus, insbesondere des Antisemitismus und -ziganismus – all dies wird im »Bajszel« alles andere als trocken verhandelt. Das auch dank guter Kontakte der Gastronomen zu Verlagen, Journalisten und direkt zu vom Kneipenteam geschätzten Autoren.
Wegen der ganz neugemachten, über ein halbes Jahr in die völlig entkernten Räumlichkeiten gebauten Lokalität, drei nun flexibel bespielten Räumen, einer mit Rauchen, und trotz der bereits robust-holzig-gemütlichen Einrichtung samt voller Bücherregale mögen es einige Nachbarn trotzdem noch als zu clean empfinden, doch die kommende Patina des Beisls ist spürbar.
Sonntags ist ab 14 Uhr »Katersonntag« mit Suppe und Konterbier. Und auch an nachbarschaftsfreundlich intonierte Konzerte wird sich getraut. Das unprätentös-undogmatisch wache wie genussfreudige »Bajszel« sitzt am richtigen Ort und lohnt insbesondere Anwohnern täglichen Besuch.
hlb
ProgrammSchänke Bajszel, Emser Str. 8/9, Mo – Sa ab 18 Uhr, So ab 14 Uhr, Facebook/Instagram: @Bajszel