Was bleibt – was muss weg – was muss her?
Welche Personen sollen im öffentlichen Raum durch Straßennamen geehrt werden, und wann ist eine solche Ehrung nicht mehr zeitgemäß? Darüber streitet die Stadtpolitik nicht erst seit heute.
Unter dem Titel »Straßennamen: Was bleibt – was muss weg – was muss her?« sprach Historiker Henning Holsten am 22. November im Gutshof Britz mit Experten über dieses Thema.
»Städte sind gut beraten, fortlaufend zu prüfen, wen sie im Straßenbild ehren«, sagte der Berliner Beauftragte gegen Antisemitismus, Samuel Salzborn. Er hat im vergangenen Jahr ein Dossier des Leipziger Politikwissenschaftlers Felix Sassmannshausen vorgelegt, das rund 290 Straßen und Plätze in der Hauptstadt auflistet, die nach historischen Persönlichkeiten benannt sind, die heute als Antisemiten gelten oder sich antisemitisch geäußert haben sollen, davon 16 in Neukölln. Solche Bezüge sollten in einer pluralen Welt nicht gewürdigt werden, sagte er. Allerdings müsse genau überprüft werden, wie markant und prägend für Leben und Werk solche Äußerungen seien. Deswegen empfehle das Dossier in vielen Fällen keine Umbenennung, sondern vertiefende Forschungen oder eine »Kontextualisierung«. Damit sind zusätzliche Informationen über den Namensgeber etwa in digitalen Straßenverzeichnissen oder auf einer Tafel vor Ort gemeint.
Idil Efe, Diversity-Managerin der »Stiftung Stadtmuseum Berlin«, sieht den Grund für Umbenennungswünsche auch darin, dass sich bisher marginalisierte migrantische Gruppen inzwischen mehr Gehör verschaffen. Dabei gehe es vor allem um Straßennamen mit kolonialen Bezügen.
Warum fünf Mal mehr Berliner Straßen nach Männern als nach Frauen benannt sind, erklärte Claudia von Gélieu, Politikwissenschaftlerin und Veranstalterin der »Frauentouren«, mit den starken Gegenkräften. Aktuelles Beispiel sei das Neubaugebiet auf den Buckower Feldern, bei dessen Straßen überhaupt keine Frauen als Namensgeberinnen zum Zuge gekommen seien. Ohnehin würden Frauen an den Stadtrand verdrängt, weil es nur dort nennenswerte Neubaugebiete mit neuen Straßen gebe. Die Umbenennung vorhandener Straßen biete daher die Chance, Frauen in die Mitte der Stadt zu holen. Aber nicht nur Straßennamen seien problematisch, führte sie weiter aus, sondern auch Denkmäler wie das des »Turnvaters« Jahn in der Hasenheide, der wegen seines Nationalismus heute zunehmend in der Kritik stehe.
Museen könnten diese politischen Prozesse beratend begleiten, sagte Matthias Henkel, Leiter des Neuköllner Museums. Die Kontextualisierung sei ein langer Prozess, es brauche viel Zeit, um auf wissenschaftlicher Grundlage den Kontext des bestehenden Namens zu erforschen und qualifiziert über neue Namensgeber zu sprechen. Museen könnten auch die Materialien liefern, um beispielsweise aus Denkmälern Lernorte zu machen.
Am Ende waren sich alle einig, dass es, statt in Abwehrreflexe zu verfallen, zielführender sei, die eigenen Vorstellungen selbstkritisch zu hinterfragen und eine Kontroverse gegebenenfalls auch auszuhalten.
mr