Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt, Sonntag. 3.12.1922
Jugend von heute. Halbwüchsige Jungens und Schulknaben sind am meisten an den vielen Metalldiebstählen beteiligt. Kürzlich standen einige Schuljungens bei der Polizei im Verhör. Sie mußten erzählen, wie sie den Erlös ihrer Beute verausgabt haben. Nachdem sie sich Schokolade, Kuchen und Zigaretten geleistet hatten, fuhren sie rein zum Vergnügen mit der Straßenbahn durch die Stadt. – Einige andere Lümmels antworteten auf die Frage, wie lange sie sich schon auf Stehlen gelegt hätten, daß sie das »erst« seit drei Wochen täten.

Neuköllnische Zeitung, Freitag, 8.12.1922
Die erste Probefahrt auf der Nordsüdbahn. Ende nächster Woche soll für die städtische Tiefbaudeputation die erste Probefahrt auf der städtischen Untergrundbahn von der Seestraße bis zur Gneisenaustraße stattfinden. Der Innenausbau der Nordsüdbahn hat in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht, und die Bahnhofs= und Sig­naleinrichtungen sind im wesentlichen fertiggestellt.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 11.12.1922
Plünderung eines Weihnachtsbaumstandes. Gestern mittag um 12 Uhr wurde der Wache des 175. Polizeireviers mitgeteilt, daß sich an der Ecke der General=Pape= und Dreibundstraße mehrere Hundert Personen angesammelt und einen Weihnachtsbaumstand geplündert hätten. Als die Wache dort eintraf, zerstreute sich die Menge, doch vermißt der Händler etwa 100 Weihnachtsbäume, die die Plünderer weggeschleppt hatten. Die Angelegenheit dürfte für den Händler noch ein unangenehmes Nachspiel haben, da er, wie der Polizeibericht meldet, die Bäume für 400 Mark das Stück gekauft und für jeden Baum 1000 Mark verlangt hatte.

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 19.12.1922
Hannover verpachtet seinen Zoo. Der Magistrat der Stadt Hannover schreibt die Verpachtung des Zoologischen Gartens der Stadt mit wirtschaftlichen Gebäuden aber ohne Tierbestand aus. Die Angebote sind in Roggenzentnern anzugeben. Angebote in festen Geldbeträgen werden, wie der Magistrat ausdrücklich betont, nicht berücksichtigt.

Neuköllner Tageblatt, Dienstag, 19.12.1922
Die von der Regierung beabsichtigte Verwendung des Tempelhofer Feldes zu Anlage von Eisenbahnanlagen und eines Flughafens sind bekanntlich von den angrenzenden Gemeinden, besonders aber seitens der Arbeiterbevölkerung, auf das schärfste bekämpft worden, da die noch freiliegenden Ueberreste des großen Militärübungsplatzes der Volkserholung, der Anlage von Sportplätzen usw. dienen soll. Umso überraschter muß man sein, daß jetzt die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Hoffmann und Schumann in einer »Anfrage« im Reichstag für die Anlage eines Flughafens auf dem Tempelhofer Feld eintreten. Dies ist sicher geschehen, ohne sich vorher mit den angrenzenden Gemeinden in Verbindung zu setzen. Die erwähnte Anfrage lautet: »Die im Luftverkehr erzielten Zeitersparnisse werden vielfach durch den langen Anweg bis zu den meist weit außerhalb der Städte gelegenen Flughäfen verbraucht. Ganz besonders ist das in Berlin der Fall. Die beiden Flughäfen Staaken und Johannisthal liegen sehr weit ab vom Mittelpunkt Berlins. Schon vor längerer Zeit lief durch die Tagespresse die Mitteilung, daß das Tempelhofer Feld zu einem Zwischenlandeplatz für die von den genannten beiden Flughäfen abfliegenden Flugzeuge in Aussicht genommen sei. In letzter Zeit hat man davon nichts mehr gehört. Ist die Reichsregierung bereit, über den Stand der Angelegenheit Auskunft zu geben oder darüber, wie sie die oben erwähnten, den Luftverkehr sehr wesentlich beeinträchtigenden Uebelstände zu beseitigen gedenkt?«

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Berlin baut die erste kommunale U-Bahn

Die zentrale Teilstrecke der heutigen U6 wird eröffnet

Bereits um 1901 gab es in Berlin Pläne für den Bau einer kommunal betriebenen Untergrundbahn, die betrieblich und technisch von den von der Hochbahngesellschaft betriebenen Bahnen unabhängig sein sollte.
Die erste Strecke, »Nord-Süd-Bahn« genannt, sollte von der Seestraße zur Gneisenau­straße mit Abzweigungen nach Neukölln und Tempelhof führen.
Mit dem Beginn der Bauarbeiten am 2. Dezember 1912 brach ein neues Zeitalter für die Berliner U-Bahn an, denn die Tunnel der neuen Strecke wurden als Großprofilstrecke angelegt, in denen statt der bisherigen 2,36 Meter breiten Züge 2,65 Meter breite Wagen eingesetzt werden konnten.

U-Bahnwagen mit »Blumenbrettern«       Foto: historisch

Anfangs kam der Bau flott voran, doch 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und machte alle Pläne zunichte. Der Mangel an Arbeitskräften und Betriebsmitteln führte ab 1917 zum völligen Stillstand der Bauarbeiten.
Im Jahr 1919 begannen die Bauarbeiten wieder. Während der Inflationsjahre wurde kurzzeitig erwogen, die Tunnel wieder zuzuschütten, weil man glaubte, sich den Weiterbau nicht leisten zu können. Aber auch das hätte enorme Kosten verursacht, so wurde beschlossen, das U-Bahnprojekt zu Ende zu führen. Allerdings wurden Abstriche gemacht, insbesondere bei der architektonischen Ausgestaltung der Bahnhöfe.
Am 30. Januar 1923 konnte der erste Tunnelabschnitt zwischen Halleschem Tor und Stettiner Bahnhof (seit 13. Dezember 2009 Naturkundemuseum) eröffnet werden. Ein weiterer Abschnitt wurde am 8. März 1923 zwischen Stettiner Bahnhof und Seestraße in Betrieb genommen. Am Bahnhof Seestraße wurde auch eine Betriebswerkstatt errichtet.
Nur gab es da ein kleines Problem: Es gab noch keine Großprofilfahrzeuge. Deswegen wurden vorübergehend 24 Kleinprofilfahrzeuge mit so genannten »Blumenbrettern«, also längeren Türschwellen versehen, um den Abstand zur Bahnsteigkante auszugleichen.
Am 31. Dezember 1924 konnten die ersten 68 Großprofilfahrzeuge eingesetzt werden.

mr