Eine Institution wird vertrieben
Als Stefan Lange im Jahr 2005 die »Lange Nacht« eröffnete, schuf er in kürzester Zeit eine Institution im Neuköllner Kneipenleben. Jedes Fußballspiel wurde geschaut, Tatort-Abende zelebriert, Musikveranstaltungen abgefeiert. Die nähere und weitere Nachbarschaft lief zusammmen, selbst Fans unterschiedlicher Fußballclubs gingen fair und aggressionsfrei miteinander um.
Stefan kannte die meisten der Gäste schon seit einigen Jahren, da er viele Jahre davor die Geschäftsführung für den Vorbesitzer innehatte.
Dann zogen die ersten Gäste seiner Stammkundschaft weg, sie konnten die Mieten nicht mehr zahlen, die »Hipsterisierung« begann, wie Stefan es nennt. Die Gentrifizierung zog mit rasender Geschwindigkeit durch den Schillerkiez. Vor zweieinhalb Jahren bekam auch er eine saftige Mieterhöhung. Die Adler-Group, der das Haus in der Weisestraße 8 inzwischen gehört und die mit dem Slogan »mehr Zukunft pro m²« wirbt, begann die Gegenwart pro Quadratmeter zu zerstören. Stefan verhandelte wegen der Staffelmiete mit der Hausverwaltung und konnte etwas herunterhandeln. Gleichzeitig begannen Bauarbeiten am Haus, ein Gerüst wurde aufgestellt, angeblich für sechs Wochen, die Außenbestuhlung musste reduziert werden, was nicht umsatzfördernd war.
Dann begann die Corona-Pandemie. Nicht allen Gästen gefiel, dass die Corona-Vorschriften so vorbildlich eingehalten wurden, die Abstandsregeln für Innenräume taten ihr Übriges, die Einnahmen gingen zurück, die Rücklagen wurden angefasst.
Mitte 2020 wurde nach zweieinhalb Jahren das Gerüst tatsächlich abgebaut. Inzwischen waren noch weitere Stammgäste weggentrifiziert und sämtliche seiner Rücklagen aufgebraucht. Die vierte Corona-Welle rollt, Gewerbemieten sind nach wie vor nicht geschützt, die Adler-Group ist nicht zu sprechen.
Bis zum Redaktionsschluss gab es – wie sonst üblich – mit der Hausverwaltung nicht einmal einen Termin zur Vorabnahme für die Räume.
Stefan Lange und Britta sind dankbar für die Jahre, in denen sie bisher das gemütliche Wohnzimmer für ihre Gäste und Freunde betreiben konnten. Viele Stammgäste hatten angeboten, einen Förderverein zu gründen, der Teile der irrwitzigen Mietzahlung begleicht, sie würden monatlich auch privat finanzielle Unterstützung bieten. Für diese innige Solidarität sind beide sehr dankbar, nehmen die Angebote allerdings nicht an. »Wer weiß, was das dann zur Folge hat«, sagt Stefan, »die Hausverwaltung sieht, es geht ja und schraubt die Forderungen noch höher. Sollte der Laden ab Januar leerstehen und Monate keine Mieteinnahmen erfolgen, könnte die Hausverwaltung ebenso eine geringere Mieterhöhung veranschlagen.«
Der Schillerkiez würde nach dem »Schiller‘s« und dem »Syndikat« eine weitere Institution verlieren, die die Nachbarschaft zusammenkommen lässt und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt.
Wenn kein Wunder geschieht, muss die »Lange Nacht« zum Ende dieses Jahres die Pforten schließen.
Wir hoffen jetzt gemeinsam auf ein Wunder!
bs