Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung – Donnerstag, 1. 9. 1921
Salzsäure-Attentat.
Der 23jährige Arbeiter Erich Rautenberg hierselbst wurde in der Nacht gegen 12 Uhr auf der Wildenbruchbrücke von einem unbekannten Mann angefallen. Als dieser dicht vor ihm stand, holte er aus der Tasche eine Flasche mit Salzsäure hervor und goß deren Inhalt dem Bedauernswerten ins Gesicht. Auf das Geschrei des Ueberfallenen eilte eine Streife der Schutzpolizei herbei und brachte den Schwerverletzten nach dem Rudower Krankenhaus.

Neuköllnische Zeitung – Sonnabend, 3. 9. 1921
Weibliche Metzgermeister.
Unter einem Metzgermeister stellt man sich gemeinhin einen recht robusten Mann vor, möglichst eine korpulente Erscheinung mit dicken, äußerlich sichtbaren Muskeln, das Sinnbild eines Menschen, der es versteht, auch dem kräftigsten Ochsen zu Leibe zu rücken, um ihm mit Erfolg den Garaus zu machen. Daß es gelegentlich einmal kein allzu dicker und allzu großer Mann ist, der den Metzgermeister repräsentiert, sondern eine kleine, aber sehnige und harte Erscheinung, nimmt man noch in Kauf. Sich aber unter einem Metzgermeister ein weibliches Wesen, eine Vertreterin des zarten Geschlechts, vorzustellen, dazu will man sich nur schwer verstehen. Und doch gibt es weibliche Metzgermeister. In Köln hat sich der letzten Meisterprüfung im Fleischergewerbe auch ein Fräulein unterzogen, eine junge Dame von knapp dreißig Jahren, die seit einiger Zeit bereits selbständig eine Metzgerei führt. Der weibliche Prüfling schnitt in der Prüfung sehr gut ab und wurde von dem Obermeister der Innung in einer besonderen Ansprache ob seiner ausgezeichneten theoretischen und praktischen Kenntnisse und seiner Fixigkeit mit sehr viel Lob bedacht. Der Innungsobermeister wies in seiner Ansprache übrigens darauf hin, daß die Kölner Ochsenmetzgerinnung bereits zwei andere weibliche Meister aufzuweisen habe. Im ganzen besitzt Deutschland jetzt fünf weibliche Metzgermeister.

Neuköllnische Zeitung – Mittwoch, 7. 9. 1921
Mißstände auf der Stadtringbahn.
Schwere Betriebsunterbrechungen wegen geringer Ursachen. Vor wenigen Tagen war der Ringbahnverkehr infolge Schadhaftwerdens eines Wasserkrans auf dem Potsdamer Ringbahnhof für länger als 24 Stunden in völlige Unordnung geraten. Das »erhebende« Schauspiel hat sich bereits gestern wiederholt und, wenn möglich, zu noch skandalöseren Zuständen geführt. In den Mittagsstunden war in der Nähe des Bahnhofes Putlitzstraße an der Lokomotive eines Ringbahnzuges die Kolbenstange gebrochen. Die Maschine mußte daher durch eine andere ersetzt werden. Auf der kleinsten Sekundärbahn wäre das ohne Störung und ohne sonderlichen Zeitverlust möglich gewesen. Nicht so auf der Ringbahn! Wie auf Kommando war der gesamte Zugverkehr binnen kurzer Zeit ein großes Chaos. Auf dem Potsdamer Ringbahnhof stauten sich in der zweiten Mittagsstunde große Menschenmengen und warteten geduldig, bis endlich ein Bahnangestellter der »erfreulichen« Bescheid brachte, daß in jeder Richtung vor einer halben Stunde kein Zug eintreffen würde. Dabei blieb es dann. Bis in die späten Nachtstunden war der Fahrplan völlig außer Kraft gesetzt, die Züge brauchten von Bahnhof zu Bahnhof unendliche Zeiten, und ungezählte Tausende sind durch die beispiellose Unordnung der Ringbahn aufs schwerste geschädigt worden.

Neuköllner Tageblatt – Sonntag, 18. 9. 1921
Besichtigung des Germanischen Reitergrabes.
Der Besuch dieser Sehenswürdigkeit ist ein ganz enormer. Gegen 16 000 Besucher von Neukölln und auswärts wurden gezählt. Heute, Sonntag, ist das Museum im Körnerparke in der Zeit von nachmittags 4 bis zur Dunkelheit geöffnet. Die Besichtigung sei allen Bürgern empfohlen. Der Eintrittspreis beträgt für Erwachsene 20 Pfg., für Kinder 10 Pfg.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1921 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Neuköllner Reitergrab

Ein Rätsel aus der Völkerwanderungszeit

Es war eine kleine Sensation, als am 23. Januar 1912 beim Straßenbau am heutigen Körnerpark an der Ecke Selkestraße/Jonasstraße das »Reitergrab von Neukölln« entdeckt wurde. In dem Grab aus der Zeit der Völkerwanderung im 5. und 6. Jahrhundert fanden Archäologen die Knochenreste eines Pferdes und eines männlichen Toten sowie Reste eines mit Eisenteilen beschlagenen Ledergürtels, Bronzenägel und ein Tongefäß. Ein Langschwert lag quer über dem Körper des Toten.
Die Überreste wurden im Rathaus und später unter der Obhut Emil Fischers im Naturhistorischen Schulmuseum im Körnerpark ausgestellt. 1923 wurden sie dem Märkischen Museum übergeben.
Zwei weitere Gräber, die 1951 im Buschkrugpark in Britz gefunden wurden, stammen wahrscheinlich aus der gleichen Epoche. In den beiden Gräbern befanden sich die Gebeine eines etwa 30-jährigen Mannes und einer etwa 16-jährigen Person, die wegen der wertvollen Grabbeigaben, zu denen ein Kamm, zwei goldene Anhänger, eine silbervergoldete Bügelfibel und Halsschmuck gehörten, den Namen »Britzer Prinzessin« erhielt.
DNA-Analysen durch Forscher des Museums für Vor- und Frühgeschichte haben inzwischen ergeben, dass die »Prinzessin« ein zwölf- bis 15-jähriger »Prinz« war, der auch noch in direkter männlicher Linie mit dem Mann aus dem Nachbargrab verwandt war. »Es könnte sein Vater, sein Großvater oder auch ein Onkel gewesen sein. Eine Verwandtschaft zum Neuköllner Reiter besteht jedoch nicht«, schreibt die Leiterin des Forschungsprojekts Marion Bertram.
Weitere Analysen ergaben, dass der Britzer Mann in der Region des heutigen Berlin geboren wurde und hier auch sein Leben verbracht hat, während der Junge und der Reiter nicht hier aufgewachsen sind. Beide sind offenbar aus der derselben entfernten Region zugewandert.
Woher der Junge kam, warum er in der Fremde aufwuchs, ob der Reiter sein Reisebegleiter auf dem Weg nach Berlin war und warum er so früh verstarb, das sind noch viele Rätsel, die es zu lösen gilt.

mr