Schlendrian als »Schooling«
Distanzunterricht, welch verlockende Idee! Aber Distanzunterricht in Zeiten der Seuche als Opa zu erleben, lässt eine andere Stimmung aufkommen. Der 12-jährige Enkel kommt erst um 10.30 Uhr. Es kann los gehen, denkt Opa.
Die Frage, was denn zu erledigen sei, wird damit beantwortet, dass Mama doch eine Mail geschickt habe, wo alles drauf stehe. In Wirklichkeit sind dies vier getrennte Mitteilungen der Schule beziehungsweise von Lehrern im home-office. Zum Beispiel vier Aufgaben, Seite soundso. Das nennt sich dann Wochenplan Mathe. »Ich mache das aber nur mit dem Handy!«, lautet die Reaktion des Enkels. In Deutsch soll ein Comic gezeichnet werden oder die Aufgabe lautet: »Sprecht über die Fabel!«
Für den Fachunterricht hat er zwei Blatt Papier bekommen. Es sind Bilder von Wirbeltieren auf dem einen und Begriffe auf dem anderen. Die Begriffe sollen den Bildern zugeordnet werden. Also Rückenflosse zum Fisch oder Lunge zum Säugetier. Aber wo ist der Platz zum Schreiben? Wo sind Schreibzeilen? Opa beginnt innerlich zu kochen und schweigt. Der Enkel quetscht ein paar Lösungen auf den Bilderbogen und nach einer Ermahnung, ob er nicht lesbar schreiben müsse, antwortet dieser, dass dies egal sei, weil ja doch niemand »die Hausaufgaben« ansehe. Er lobt aber den abwechslungsreichen Präsenzunterricht in seinem Lieblingsfach.
Eine Woche später geht es um Rom. Und wenn ich mich recht erinnere, gab es zum Leseauftrag handschriftliche Anweisungen auf einem weiteren Blatt. Es sah aus wie ein ausgedrucktes Handyfoto vom Originalgeschmiere. Opa denkt sich seinen Teil im Stillen und findet einen Vergleich mit der Zettelwirtschaft der 70er Jahre.
Nur in Mathe und Deutsch gibt es einmal die Woche eine Videoanwesenheitspflicht für jeweils sieben Schüler für eine nette halbe Stunde. Englischarbeiten sollen abfotografiert und digital an die Lehrerin geschickt werden. Es ist nicht nötig, ein Vokabelheft zu führen. Die Übersetzungshilfen im Buch sind nicht bekannt (Februar 2021!). In einem anderen teuren Übungsheft sind genau vier von etwa 50 Seiten bearbeitet und voller Fehler. Im Deutschheft ist Anfang Februar eine halbe Seite durchgesehen, irgendwann im letzten Jahr! Rot kaum besser zu lesen als Blau.
Opa fürchtet all diese Realitäten, die der »Distanzunterricht« enthüllt. Und sieht, wie Homeschooling das unverantwortliche Treibenlassen von »Unterricht« durch Schulleitung und Schulaufsicht überdeutlich erkennen lässt.
Der Opa