Aufruf zur Courage gegen rassistische Gewalt
Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, wurden neun Hanauer Bürger ermordet, weil sie nicht in das rassistische Weltbild des Mörders passten. Danach erschoss der Täter in der elterlichen Wohnung seine Mutter und sich selbst. Rund um den Jahrestag dieser Tat haben Tausende Menschen in Neukölln in verschiedenen Veranstaltungen der Opfer gedacht.
Den Anfang machte am 18. Februar, dem Vorabend des Jahrestages, das Bezirksamt Neukölln mit einer Gedenkfeier auf dem Rathausplatz.
Ein Transparent am Rathaus-Balkon zeigte die Gesichter und Namen der Getöteten. In den Fenstern des Rathauses standen gut sichtbar 213 Kerzen. Sie erinnerten an alle Menschen, die in Deutschland seit 1990 als Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt getötet wurden.
»Ich schäme mich, dass das Rathaus heute so hell ist«, sagte Bezirksbürgermeister Martin Hikel. »Vor einem Jahr starben Menschen, die auch hätten Neuköllner sein können«, sagte er weiter und erinnerte an Luke Holland, der 2015 von einem Rechtsextremen erschossen wurde und an den Mord an Burak Bektas, der noch immer nicht aufgeklärt ist. »Wir dürfen sie nicht vergessen, denn auf das Vergessen folgt Normalität. Und Rassismus und Rechtsextremismus dürfen keine Normalität werden«, mahnte er.
»Die Ermordung der neun Menschen in Hanau waren keine Einzeltaten, und es war kein Einzeltäter. Die Taten fußen auf tief in unserer Gesellschaft verwurzelten rassistischen Vorurteilen und Feindbildern, die auch in den Sicherheitsbehörden verankert sind«, sagte Claudia von Gelieu, ein Opfer der Brandanschläge, von denen engagierte Neuköllner seit Jahren betroffen sind. Sie beklagte die mangelnde Aufklärung dieser Terrorserie.
»In diesen schwierigen Zeiten müssen wir Courage zeigen«, rief Nader Khalil vom »Deutsch-Arabischen Zentrum/EJF in Neukölln« den Anwesenden zu. Mit einer Schweigeminute wurde die Kundgebung beendet.
Rund 1.200 zumeist junge Menschen versammelten sich am Folgetag auf dem Rathausvorplatz zu einer Mahnwache, veranstaltet von der Initiative »Kein Generalverdacht« und anderen linken Gruppen und Initiativen.
Sie hielten Schilder mit den Gesichtern der neun Getöteten in die Höhe, rund um den Brunnen wurden Grablichter aufgestellt und Blumen abgelegt. In den Redebeiträgen wurde eine lückenlose Aufklärung der Tat gefordert und Antworten auf viele ungeklärte Fragen verlangt. Politik und Medien wurde vorgeworfen, mit Razzien in Shishabars und der Verwendung des »Clan«-Begriffs für Organisierte Kriminalität die Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen zu befeuern, anstatt Rassismus entgegenzuwirken.
Am 20. Februar waren es dann über 6.000 Menschen, die mit Sprechchören wie »Hanau ist kein Einzelfall, Widerstand ist überall« oder »Kein Vergeben Kein Vergessen« vom S-Bahnhof Hermannplatz zum Kreuzberger Oranienplatz zogen. Unter dem Motto »Ein Jahr nach Hanau – gemeinsam gedenken, gemeinsam kämpfen!«, ging es auch hier darum, auf die strukturellen Hintergründe des Terrors und auf ein gesellschaftliches Klima, das solche Taten erlaubt, hinzuweisen.
mr