Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Auch in diesem Monat sind die Bibliotheken wieder geschlossen. Deshalb gibt es in dieser Ausgabe eine Sammlung von Artikeln aus dem vergangenen Jahr, die es aus Platzgründen nicht in die Zeitung geschafft haben.

Neuköllner Tageblatt, Donnerstag, 5. 2. 1920
Das Geheimzeichen der städtischen Pflanzen.
Um den immer mehr um sich greifenden Diebstählen an immergrünen Pflanzen entgegenzutreten, hat sich die städtische Parkverwaltung veranlaßt gesehen, die Blätter und Zweige dieser Pflanzen auf der Unterseite mit Farbstoff zu versehen. Die Handelsgärtner und Kranzbindereien werden vor Ankauf derartig gekennzeichneter Pflanzen dringend gewarnt.

Neuköllnische Zeitung, Freitag, 13. 2.1920
Die Grippe.
Wie schon oft während der letzten Jahre herrscht auch zurzeit in Berlin wiederum eine starke Grippe=Epidemie. Alle Krankenhäuser sind sehr stark belegt, und in der letzten Zeit soll es vorgekommen sein, daß an einem Tage zirka 100 Personen keine Aufnahme mehr in den Krankenhäusern fanden. Da die Grippe sehr oft einen tödlichen Ausgang nimmt, ist allen, bei denen sich verdächtige Symptome für diese Krankheit bemerkbar machen, dringend anzuraten, unverzüglich einen Arzt aufzusuchen. Größte Vorsicht ist vor allem gegenüber Erkältungen, und mögen sie noch so geringfügig sein, geboten.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 6. 3. 1920
Das selbstgeschaufelte Grab.
Auch unter den Friedhofsarbeitern herrscht eine Lohnbewegung. Es ist infolgedessen sogar vorgekommen, daß Beerdigungen wegen plötzlicher Arbeitsverweigerung zur festgesetzten Zeit nicht stattfinden konnten und hinausgeschoben werden mußten. Das führte dann zu recht peinlichen Zwischenfällen. In einem Falle – auf dem Dreifaltigkeitskirchhof – griffen die Hinterbliebenen in der Not zur Selbsthilfe und schaufelten das Grab zur Bestattung der Leiche selbst. Es wird hierüber berichtet: Vor kurzem starb ein Ingenieur, aber die Beisetzung auf dem Dreifaltigkeitskirchhofe konnte infolge des Ausstandes der Friedhofsarbeiter nicht vor sich gehen. Da die auswärtigen Angehörigen des Verstorbenen diesen endlich der Erde übergeben wollten, gestattete ihnen die Friedhofsverwaltung, selbst das Grab zu schaufeln. So hoben denn ein Rentner, ein Kreisrat und ein Hauptmann nebst seinem Burschen und zwei Russen das Grab aus, und der Tote konnte nach achttägiger Verzögerung der Erde übergeben werden. Welche seelische Qual zugleich dieser letzte Dienst war, läßt sich wohl nachempfinden.

Neuköllner Tageblatt, Freitag, 3. 9. 1920
Verheiratete weibliche Angestellte der Gemeinden Großberlins
müssen mit ihrer Entlassung aus den städtischen Diensten in nächster Zeit rechnen, sofern der Ehemann eine dauernde Beschäftigung hat und wirtschaftlich stark ist, um die Familie zu ernähren. Durch diese Maßnahme hofft man, Platz zu schaffen für Arbeitslose.

Neuköllnische Zeitung, Dienstag, 7. 9 1920
Gefährliche Hüte.
In neuerer Zeit sind nach dem Tragen von Hüten, in denen sich Ersatzmittel für Schweißleder befinden, an der Kopfhaut häufig Entzündungen beobachtet worden. Die Untersuchung der Ersatzmittel hat ergeben, daß es sich um wachstuchähnliche Zubereitungen handelt, die mit phenol= oder kresolhaltigen Körpern imprägniert worden sind und daher insbesondere bei der Erwärmung einen teerartigen Geruch verbreiten. Es wird dringend davor gewarnt, an Stelle von Hutschweißleder solche Ersatzmittel zu verwenden, die geeignet sind, Gesundheitsschädigungen der genannten Art hervorzurufen.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 18. 9. 1920
Die Granseer Dampfziegeleien der Stadt Neukölln
, welche vor Jahresfrist in des Eigentum der Stadtgemeinde Neukölln übergegangen sind, haben unter städtischer Leitung einen bedeutenden Aufschwung genommen. Durch Ausbau der bestehenden Anlagen und Einbau neuzeitlicher Streichmaschinen ist ein in jeder Beziehung mustergültiges Werk von größter Leistungsfähigkeit geschaffen worden. Das vorhandene Tonlager reicht für eine jährliche Fabrikation von 20 – 25 Millionen Steinen etwa 100 Jahre. Der gefertigte Stein stellt einen gut gebrannten Hintermauerungsstein von besonders hoher Druckfestigkeit dar. Die Produktion des Vorjahres wurde fast ausschließlich für die Ausführung umfangreicher Notstandsarbeiten in Neukölln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot verwendet.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1920 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Berlin wächst aus märkischem Ton

Wohnungsbau beflügelt die Ziegelproduktion

Tausende von Wohnungen und Gewerbebauten, die jedes Jahr in Berlin errichtet wurden, verlangten nach exorbitanten Mengen von Ziegeln und Kalksandsteinen, Gips, Kalk und Mörtel, Fensterglas und Kachelöfen.
Kein anderes Material wurde beim Wachstum der Millionenstadt Berlin und seiner Umgebung in stärkerem Maße verbaut als die märkischen Ziegelsteine.

Ringofen im Ziegeleimuseum Mildenberg.Foto: Archiv Museum Mildenberg


Bereits kurz nach der Entdeckung ergiebiger Tonvorkommen im Jahre 1887 entwickelte sich von Zehdenick bis nach Marien­thal im Norden mit Ausläufern bis nach Gransee im Westen zu beiden Seiten der Havel eine ausgedehnte Ziegeleilandschaft, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Europas größtes Ziegelrevier galt.
Die Produktion belief sich in Spitzenzeiten auf 700 Millionen Ziegel pro Jahr, die massenhaft über die Havel nach Berlin transportiert wurden. Rund 40- bis 50.000 Ziegelsteine wurden auf einem damals üblichen Kahn verladen. »Berlin ist aus dem Kahn gebaut«, so hieß es daher vor über hundert Jahren.
Im Ziegeleipark Mildenberg, Europas größtem Ziegeleimuseum, sind die alten Produktionsstätten mit ihren Ringöfen und Werkstätten Ausstellungsorte geworden. Hier wird nicht nur über die Herstellungstechnik informiert, sondern auch über die Arbeitswelt der Ziegler, die als Wanderarbeiter saisonal eingestellt wurden und unter schlechten Bedingungen lebten.

mr