Liberalität seit 50 Jahren

Der Retro-Sexshop in der Karl-Marx-Straße

Es verschlägt mir glatt die Sprache. Unbeschreiblich ist dieser Sexshop, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Die Tür steht halb offen. Der erste Blick fällt auf den sympathischen Inhaber, der alles andere als von gestern ist. Die Zeitschriften in der Auslage wirken dennoch so, dokumentieren dabei zurückliegende Zeiten, zeugen von vergangenem Flair, als Sexshops noch fragwürdige Exotik waren, in die man nur verstohlen den Zugang suchte.

Heiße Höschen und schicke Schuhe.      Foto:th

Der Inhaber empfängt mich maskiert, zeitgemäß per Taschentuchvermummung. Eigentlich will er kein Interview geben, Kiez und Kneipe ist ihm allerdings geläufig, er kommt gleich zum Kern. Der Sexshop öffnete am ersten Oktober 1971. Sexkino gab es bis 2001. Inzwischen werden DVDs verkauft. Da die Filme auch im Internet erhältlich sind, sinkt die Nachfrage nach Toys und Pornos im Shopangebot. William, so nennt sich der Inhaber des Erotikshops im Interview, bespielt den Laden dennoch weiter.
Viele erotische Magazine liegen bei William in Plastik verpackt »auf dem Grabbeltisch«. Bei genauer Suche finden sich wahre und kuriose Raritäten. Es handelt sich um ein Archiv der besonderen Art. »White Dreams« sticht in die Augen, das Blatt zeigt eine in weißer und knapp sitzender Schwesterntracht gekleidete schöne Frau, während ein Mann an einen Stuhl gefesselt sitzt, mit einer weißen Atemmaske vor seinem Gesicht. Nie passte das besser als in Zeiten von Corona.
William wirkt abgeklärt, doch seine Leidenschaft für das Sexshopgeschäft verhehlt er nicht. Nichts ist für ihn selbstverständlicher, als mit erotischen Artikeln zu handeln. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als der sexuelle Aufbruch begann, war ein Sexshop nicht unumstritten. Durchhalten war die Devise. Es ist dem Inhaber dauerhaft nicht schwer gefallen. William lächelt verschmitzt durch seine Augen über seiner Maske. Einen erfahrenen Profi wie ihn kann so leicht nichts erschüttern, auch keine beschädigte Leuchtreklame.
Das derzeit beschädigte Firmenschild hat eine Firma hergestellt, die sich auf Hinterglasmalerei spezialisiert hatte. Diese Neuköllner Handwerksfirma gibt es seit Längeren nicht mehr. »Viele kleine Läden mussten schließen. Ich habe inzwischen sehr junges und internationales Publikum und mache weiter.« Was ist mit der zerbrochenen Reklame passiert? »Die hat eine besondere Geschichte. Da die Miete für das andere Geschäft eine Tür weiter zu hoch wurde, sind wir hierhin gezogen. Leider ging dabei die Leuchtreklame kaputt.« Ersatz ist derzeit nicht geplant. Von außen wirkt der Sexshop damit ebenfalls improvisiert.
William, ein gestandener Sexshoppionier, macht einen zufriedenen Eindruck. »Seit fünfzig Jahren und nun in zweiter Generation sind wir ununterbrochen für unsere Kunden da. Frauen und Männer kaufen bei uns ein. Ein kleiner Sexshop trägt zur Liberalität in Neukölln bei.«

th
Karl-Marx-Str.38