Vögel und Stiefmütterchen
Eine der Tätigkeiten, die ich besonders liebe, ist die Entrümpelung des Balkons vom vergangenen Herbst und Winter. In diesem Jahr hatte ich es zunächst mit Tauben zu tun. Sie wollten auf meinem Sommerlieblingsort nisten.
Meine Erfahrung mit nistenden Vögeln auf dem Balkon ist nicht gut. Vor wenigen Jahren hatte sich ein Amselpärchen den Platz ausgesucht. Infolge dessen konnte ich zunächst den Balkon nicht mehr betreten. Die Tiere griffen mich im Sturzflug an, ich fühlte mich an Hitchcocks »Die Vögel« erinnert. Klar, sie haben ihre Brut nur verteidigt, mir allerdings auch mein Sommervergnügen genommen. Mit der Zeit gelang es mir, Vertrauen zu schaffen. Tee trinken ging zwar nicht, aber immerhin durfte ich mal gucken.
Die Tauben habe ich folglich aus Überzeugung vertrieben, indem ich jeden Tag neue Lebensumstände für sie schuf. Ich räumte hin und her, und irgendwann begriffen sie, dass sie bei mir nicht erwünscht sind.
Nun endlich konnte ich so räumen, dass es mir gefällt. Ich besorgte neue Pflanzen und pflanzte sie ein und entfernte altes Laub.
Es gab eine schöne Überraschung bei den Aufräumarbeiten: Da drängelte sich doch ein kleines Stiefmütterchen durch eine Ritze des Balkonbodens und schaute mich frech an. Wie es dahin kam, ist mir ein Rätsel. Es gibt dort keine Erde, und es ist viele Jahre her, dass ich mal Stiefmütterchen hatte. Nun wächst es bereits seit mehreren Wochen, es kommen neue Blüten hinzu, es ist eine Freude, dem Wachstum auf dem Betonboden zuzuschauen. Und ich gebe zu, dass ich sie gieße.
Auch dieser Frühling musste erobert werden.