Umsetzung des Mobilitätsgesetzes hinkt

Verkehrswende lässt in vielen Bezirken auf sich warten

Erfreulich: In Berlin steigt seit 2001 der Radverkehr um 53 Prozent. Ärgerlich: Unsere Straßen sind zu wenig darauf ausgerichtet, jedem Verkehrsteilnehmer gleichrangig seinen dafür notwendigen Raum zu geben. 70 Jahre lang hat die hiesige Verkehrspolitik dem individuellen Autoverkehr Vorrang eingeräumt. Das seit 16 Monaten existierende Berliner Mobilitätsgesetz soll erstmals dem Fuß-, Rad- und öffentlichen Personennahverkehr deutlich mehr Priorität verschaffen.

SPUR der Radler. Foto: rr

Ein auch von der Verkehrssenatorin Regine Günther verkündetes Leitbild für Berlin ist die »Vision Zero«. Das heißt: keine Verkehrstoten mehr. Dennoch stieg 2019 die Zahl der Verkehrsunfälle zum Vorjahr wieder um zwei Prozent, und seit Anfang des Jahres sind bereits 13 Verkehrstote zu beklagen. Darunter sind fünf Radfahrer und drei Fußgänger.
Der »Allgemeine Deutsche Fahrradclub« (ADFC) beklagt aus der Sicht der Radfahrer: »Die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes können wir bislang nur als unzureichend bezeichnen.« Roland Stimpel vom »FUSS e. V.«, der die Interessen der Fußgänger vertritt, ergänzt: »Auf den Straßen ist davon noch wenig zu sehen.« Letztlich muss auch die Verkehrssenatorin eingestehen, dass Berlin immer noch »am Anfang der Verkehrswende steht«. Ragnhild Sørensen, Sprecherin des Vereins »Changing Cities«, warf dem Senat vor, ihm fehle die Bereitschaft, klare Zuständigkeiten und eindeutige Ziele zu formulieren.
Und wie setzen die Bezirke das neue Gesetz um? Sehr unterschiedlich. Während Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Steglitz-Zehlendorf aus Sicht des Senats schon erfolgreich bei der Neuverteilung des begrenzten Straßenraumes (mehr Platz für Radfahrer, weniger für Autofahrer) sind, hinken die anderen Bezirke hinterher. Viel scheitert schlicht am ewigen Zuständigkeits-Ping-Pong zwischen Bezirken und Senat und dem leidigen, aber hausgemachten Verwaltungsdauerproblem: Personal- und Kompetenzmangel.
Berlin wird bereits für seine Verkehrspolitik gelobt und Neukölln will sich zum fahrradfreundlichsten Bezirk machen. Umgesetzt wurden und werden dabei leider noch Planungen, die oft jahrealt sind, also weit vor dem Mobilitätsgesetz entstanden. Das verzögert oder verwässert so manche Umgestaltung, sehr zum Leidwesen von »ADFC«, »FUSS e. V.«, »Fahrradfreundliches Neukölln« und »Changing Cities«. Die würden sich gern mehr aktiv in die Gestaltung und Umsetzung des Mobilitätsgesetzes einbringen, beklagen den Apparat und verzweifeln an der Struktur der Berliner Verwaltungen.

rr