Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Neuköllnische Zeitung
Sonnabend, 7.2.1920
Die Arbeiten bei der Schnellbahn Gesundbrunnen – Neukölln sind nunmehr trotz des Einspruchs der an dem Bau interessierten Gemeinden, Berlin und Neukölln, vorläufig eingestellt worden. Die Firma Siemens u. Halske hat sämtlichen Arbeitern zum 15. Februar gekündigt, auch die anderen, an dem Bau beteiligten Gesellschaften haben ihre Arbeiter entlassen und begründen diese Maßregel mit dem Mangel an Zement. Durch die Entlassung werden viele hundert Arbeiter brotlos und fallen der städtischen Erwerbslosenfürsorge zur Last.
Neuköllner Tageblatt
Mittwoch 11.2.1920
Die Berliner Modewoche hat am Montag ihren Anfang genommen. Die Schaufenster waren mit Hüten und Kleidern einladend geschmückt und in allen Geschäften herrschte reges Leben. Das neutrale Ausland hat zahlreiche Einkäufer hergeschickt, die über die geschmackvollen Kollektionen und über die Güte des Materials sehr erstaunt waren. Die besetzten Gebiete haben auch Vertreter der großen Modehäuser hergesandt.
Neuköllnische Zeitung
Dienstag, 17.2.1920
»Teppichklopfer«. Die wohnungslosen Arbeiter Friedrich und Belitz boten sich bei Bewohnern der Weichselstraße hierselbst zum Teppichklopfen an und wollten, als sie von der Kaufmannsfrau L. einen Teppich zum Klopfen ausgehändigt erhalten hatten, mit dem wertvollen Gegenstand verschwinden. Frau L. hatte jedoch aufgepaßt und ließ beide verhaften.
Neuköllner Tageblatt
Mittwoch, 18.2.1920
Vandalen in einer Neuköllner Kirche. In der Nacht zum 14. d. M. ist in die Bethlehemskirche am Richardplatz eingebrochen worden. Die Diebe haben die Bleiverglasung eines Fensters eingedrückt und sind durch die auf diese Weise entstandene Oeffnung eingestiegen. In der Kirche, am Altar und in der Sakristei haben die Täter wie die Vandalen gehaust. Die Behänge des Altars und des Taufsteins sowie die der Kanzel sind heruntergerissen, das Kreuz mit der Christusfigur ist zerbrochen und sämtliche Gerätschaften sind durcheinandergeworfen. Eine große weißseidene und eine grüne Stoff=Altardecke sind frühmorgens im Gebüsch der Anlagen vor der Kirche gefunden worden. Da verschiedene silberne und kupferne Gegenstände zurückgeblieben sind, ist anzunehmen, daß die Täter es nicht auf einen Diebstahl, sondern auf eine Verwüstung der Kirche abgesehen hatten. Gestohlen sind seidene, goldbestickte Decken und Behänge im Werte von ca. 1000 Mark.
Neuköllnische Zeitung
Donnerstag, 26.2.1920
Zusammenschluß zwischen Groß=Berlin und Provinz Brandenburg. Sämtliche Fraktionen des gegenwärtig tagenden Brandenburgischen Provinziallandtages haben auf Veranlassung der Sozialdemokraten sich bereit erklärt, den Versuch zu machen, Groß=Berlin in irgendeiner Form mit der Provinz Brandenburg zu verbinden. Der Zusammenschluß wird aus finanziellen Gründen als dringend notwendig angesehen. Ueber die Art der Zusammenschließung ist der Brandenburgische Landtag noch nicht einig. Man denkt an einen Zweckverband, der die beiden Provinzen Berlin und Brandenburg zur Erledigung gewisser Fragen zusammenführen würde. Dieser neue Verband hat bereits die Zustimmung der Fraktionen der preußischen Landesversammlung gefunden, und der Ausschuß Groß=Berlin hat sich schon damit einverstanden erklärt, bei seinen Beratungen die für eine »Provinz Berlin« in Betracht kommenden §§ 4 und 5 der Vorlage über Groß=Berlin auszusetzen, bis der Provinziallandtag seine endgültige Entscheidung getroffen hat.
Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1920 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek,
Breite Straße 30, 10178 Berlin.
Berliner Chic
Neue Kleider für neue Frauen
In den goldenen Zwanzigern hatte sich in Berlin eine gut ausgebildete, handwerkliche Konfektionsbranche entwickelt, die in die ganze Welt exportierte. Verkauft wurde über Messen, wie die Berliner Durchreise, die älteste Modemesse der Welt.
Ab 1918 fand zweimal jährlich die »Berliner Modewoche« statt. Ziel dieser Veranstaltung war es, der Modeproduktion bei nationalen wie internationalen Einkäufern Anerkennung zu verschaffen. Die Modelle waren nach Pariser Vorbild gestaltet und verarbeitet und bestanden aus luxuriösen Materialien wie Seide und Pelz.
Die Ideen der französischen Couture wurden in Berlin aber auch in eine alltagstauglichere Sprache übersetzt. Darüber hinaus wurde in Berlin Kleidung in größeren Massen hergestellt und an die weniger Betuchten verkauft, es begann bereits hier die Demokratisierung des Modemarktes, die sich heute in Ketten wie »H&M« oder »Zara« fortsetzt und Trends vom Laufsteg in preiswerte Mode überträgt. Die renommierten Berliner Modehäuser verkauften die konfektionierten Kleider an Berlinerinnen und trugen so zum damals weltweit bekannten und oft kopierten Berliner Chic bei.
Auch ein aufkommendes neues Frauenbild, das der Garçonne, entwickelte sich in den Zwanzigern und wurde von den Berlinerinnen übernommen. Der androgyne Stil übernahm männliche Kleidungselemente wie den Smoking und die Hose und hatte eine betont schlichte Gesamtwirkung. Dazu passte die Zigarettenspitze und der Bubikopf.
Ähnlich wie heute profilierte sich Berlin damals vor allem durch sein berüchtigtes Nachtleben. Die Stadt bot Erlebnissuchenden ein vielfältiges Angebot an Nachtlokalen, Varietés und Tanzpalästen. Die Vergnügungssucht der Menschen erforderte es, dass selbst Damen mit geringem Einkommen zumindest ein seidenes Kleid besitzen mussten, wobei auch hier eine moderne, preiswerte Alternative zu den feinen Seidenwaren der französischen Modellkleider bereitgestellt wurde: die Kunstseide.
mr