Neue Chancen für Belegschaft und das Neuköllner Gewerbegebiet
Auf der Betriebsversammlung des Neuköllner »Philip Morris« Werkes am 28. Mai, dem Dienstag vor den Brückentagen zu Himmelfahrt, verkündete die Geschäftsleitung offiziell, dass von 1050 Arbeitsplätzen in Neukölln zum Januar 2020 in Berlin nur noch 75 übrigbleiben sollen, weitere 25 gehen nach Sachsen. Daraufhin wurden die Mitarbeiter bis zur nächsten Woche nach Hause geschickt. Dann beginnen konkrete Verhandlungen über eine angekündigte »sozialverträgliche Lösung« und die weitere Nutzung des Werksgeländes.
Die Geschäftsführung begründet ihren Schritt mit dem »zunehmenden Rückgang« des Konsums von versteuerten Zigaretten. Der »Deutsche Verband der Zigarettenhersteller« beziffert die aktuelle Zahl der in Deutschland bestellten Steuerbanderolen für Tabakwaren auf 75 Milliarden im Jahre 2017. Auf dem Markt hält »Philipp Morris« derzeit einen führenden Anteil von über 30 Prozent. Bei der Neuköllner Belegschaft, dem Betriebsrat und ihrer Gewerkschaft »Nahrungsmittel, Gaststätten und Genuss« (NGG) stößt daher die Schließung auf Unverständnis. Der Konzern erwirtschafte in Neukölln schwarze Zahlen. Dennoch: Probleme bereiten nicht nur »Philipp Morris« das wachsende Gesundheitsbewusstsein der Konsumenten und die Höhe der Zigarettensteuer. Auf eine Packung mit 20 Zigaretten werden gegenwärtig bereits rund dreieinhalb Euro Steuern erhoben. »Philipp Morris« setzt daher auf »innovative neue Produkte und Vertriebsschienen«, so der Vize-Präsident EU Manufacturing bei »Philip Morris International«, Mark Johnson-Hill. Gemeint sind Produkte, die als weniger gesundheitsschädigend gelten und steuerlich weniger belastet sind, darunter »Tabakerhitzer«. Hunderte Jobs seien in Deutschland im Bereich Marketing und Vertrieb bereits entstanden, heißt es weiter. Ob der Konzern Produktion und Vertrieb in Eigenregie oder in Kooperation durchführt, ist unklar.
Spiegel Online berichtet, dass die amerikanische Firma »Juul« mit E-Zigaretten »in wenigen Wochen nach Deutschland kommt«. Sie schüttet an ihre Aktionäre bereits jetzt eine Millionendividende aus. In den USA stünde »Juul« allerdings bereits im Visier der Gesundheitsbehörde. Diese spreche von »einer Epidemie«, die »auf den Schulhöfen bereits hunderttausende Jugendliche nikotinsüchtig gemacht« habe. Produzenten wie »Juul« und »Phillipp Morris« werden also in Deutschland »in Marketing und Vertrieb« viel zu tun haben, um ihre »innovativen Produkte« zu verkaufen.
Bürgermeister Martin Hikel hat nach Erhalt der »Hiobsbotschaft« über die angekündigte Massenentlassung sofort öffentlich reagiert. Er spricht von einem erforderlichen »Kraftakt für Neukölln«, sieht aber auch »neue Chancen« für das Neuköllner Gewerbegelände, wenn Betriebsrat, Gewerkschaft, die Bundesagentur für Arbeit und die Geschäftsführung von »Philipp Morris« zusammenarbeiten. Es sieht gut aus. Einzelheiten werden nun in Gesprächen geklärt. Die Arbeitsagentur habe bereits bekundet, so Hikels Pressesprecher Christian Berg am ersten Juni mündlich gegenüber Kiez und Kneipe, dass andere Firmen Interesse zeigten, viele qualifizierte Mitarbeiter von »Philipp Morris« zu übernehmen. Insofern kann die Belegschaft wohl bereits aufatmen. Laut Hikel bieten sich damit auch Chancen, im Rahmen der Werksgebäudenutzung »die freiwerdende Fläche für die Ansiedlung neuen Gewerbes zu nutzen«. Es besteht anderweitig starke Nachfrage, das attraktive Neuköllner Gewerbegelände mit guter Infrastruktur zu nutzen und Arbeitsplätze zu schaffen.
th