Britische Unkompliziertheit im »Barra«
Nicht wenige »Foodies« haben dem »Industry Standard« in der Sonnenallee mit seinem zeitgeistigen, trendsettenden Küchen- und Raumkonzept – große, wuselige offene Küche mit kleiner Bar davor – und seinen ungewöhnlichen Gerichten ein Tränchen nachgeweint.
Seit letztem November gibt es guten Ersatz: Daniel Remers, einst Küchenchef im »Standard«, hat mit Koch-Partner Neil Paterson im Schillerkiez das »Barra« eröffnet, ein »Nachbarschaftsrestaurant«, das nach dem inzwischen weit verbreiteten und durchaus geselligen Sharing-Prinzip kleine Gerichte zum untereinander Teilen serviert.
Es braucht also schon einige Teller (und das entsprechende Kleingeld dazu), um mit mehreren Gästen satt zu werden …Da die Macher britische Expats sind, geht ok, dass die Hauptsprache im »Barra« englisch ist. Die Gäste sitzen im mit schottischem Holz schlicht gestalteten Essbereich eng beieinander – es gibt noch einen hinteren Raum mit langer Tafel für größere Gruppen oder Tastings. Indiemusik schallt nicht zu verhalten, die Atmosphäre ist locker, wenn auch mit einem Hauch Ehrfurcht vor dem Servierten. Das wechselnde Menu besteht aus Gerichten, die aus wenigen, dafür nach bester Qualität und auch saisonalen und regionalen Gesichtspunkten ausgewählten Grundprodukten kombiniert sind. Vorneweg empfehlen sich Austern, Rosmarin-Focaccia oder mit Cheddar gefüllte Brandteigbällchen. Mediterran kommen selbst gemachte Ricotta-Ravioli oder Pici-Nudeln oder auf einem japanischen Holzkohlegrill gegrillte Langustinen mit Aioli daher. Neben Tatar und Schweinebauch, besonders Barra-typisch ist Fischiges wie Kabeljau, Wolfsbarsch, geräucherter Aal vom Stechlinsee oder Fischrogen, kombiniert mit Schwarzkohl, Mönchsbart-Kraut, Sellerie, Porree oder Blutorange. Gerichte wie Kürbis mit Grünkohl und Brandenburger Weide-Ei oder Chicorée mit Birne und Blauschimmelkäse sind für selbst kochende Menschen kein Zauberwerk. Hier ist es die Fokussierung aufs Wesentliche der Zutaten und gerade der allürenfreie Verzicht auf spektakulären Zubereitungsschnickschnack, der bei der zeitgenössischen Essjeunesse ohne Sparzwang punktet.
Daniel, Neil und Barchef Kerry Westhead, der sich um die breite Auswahl an Naturweinen kümmert, haben sich mit regelmäßigen Pop-up Dinners eine Fangemeinde erspielt, die dem »Barra« von Beginn an guten Zulauf und viele Stammgäste bescherte. Sonntags lässt sich von 12 bis 17 Uhr auch lunchen. Weltläufig moderne Küche, ehrlich, lässig, heutig.
hlb
Barra, Okerstr. 2, Do – Mo 18:30 – 23 Uhr, www.barraberlin.com, facebook: barraberlin