BVV streitet
Weil die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) immer noch eine Fülle unbearbeiteter Drucksachen vor sich her schob, gab es im Dezember zusätzlich zur regulären BVV eine Sondersitzung.
Zentrales Thema dieser Sitzung war die große Anfrage der SPD an Falko Liecke, in der es um den »Schutz von Minderjährigen in einem kriminellen familiären Umfeld« geht, das derzeitige Lieblingsthema des Jugendstadtrats. »Ich bin überzeugt: Wir kriegen die Clans über zwei Mittel: Die Kohle und die Kinder. Wir müssen denen die Autos wegnehmen, die Immobilien und am Ende auch die Kinder, wenn sie drohen, ebenfalls kriminell zu werden«, schreibt er dazu auf seiner Facebookseite. Über eine Stunde wurde darüber gestritten, ob das Kindeswohl durch die Herausnahme möglicherweise viel stärker gefährdet würde als durch kriminelle Eltern. »Es geht darum, ob das Kind psychische oder physische Verletzungen erleidet, das muss aber nicht zwangsläufig so sein, wenn der Vater mit gestohlenen Autos handelt, meinte Christian Posselt (Die Linke). Mirjam Blumenthal, SPD warf Liecke »gefährlichen, rassistischen Populismus« vor und Thomas Licher (Die Linke) empfahl ihm, »hören Sie auf, den Neuköllner Horst Seehofer zu spielen!«In Neukölln gab es bisher keinen Fall, in dem ein Kind aus einer kriminellen Familie herausgenommen wurde, musste Liecke eingestehen. Das Verfahren dafür ist kompliziert. Das Jugendamt muss in jedem Einzelfall prüfen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.
Um die Arbeit der BVV zu beschleunigen, wurde in der regulären Sitzung am 5. Dezember mit großer Mehrheit eine neue Geschäftsordnung (GO) beschlossen. Danach sollen nun sämtliche Anträge, die nicht mehr in einer Sitzung beschlossen werden, automatisch in die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden können. Dadurch soll die Anhäufung vertagter Drucksachen und eine Blockade der Konsensliste verhindert werden. Die beiden AfD-Fraktionen stimmten gegen die neue Geschäftsordnung. Stephan Piehl (AfD) lehnte die Begrenzung der Redezeit ab, da es Themen gebe, die lange diskutiert werden müssten. »Man kann sich auch kurz fassen«, meinte dazu Christopher Förster (CDU). Roland Babilon (BN-AfD) störte sich an den gegenderten Personenbezeichnungen. Das sei »radikalfeministischer Blindheit geschuldet«. Die Linke und ein FDP-Verordneter enthielten sich.
In gleich drei Anfragen ging es um die Broschüre »Ene mene muh – und raus bist du« der Amadeu-Antonio-Stiftung, eine Handreichung für Kita-Erzieher für den Umgang mit rechtsextremem Gedankengut. Gefördert wurde die Publikation vom Bundesfamilienministerium. In Teilen der Presse wird die Broschüre heftig kritisiert als vermeintlicher Aufruf zur Denunziation von Eltern durch Kita-Kinder. Auch Falko Liecke hatte in einer Pressemitteilung empfohlen, das Heft nicht zu nutzen. »Die einseitige Fixierung auf rechtsradikale Elternhäuser sieht das Bezirksamt kritisch«, sagte er. In Neukölln sei religiöser Extremismus ein deutlich gravierenderes Problem.
»Warum propagieren Sie Kindeswohlgefährdung in völkischen Familien nicht ebenso wie in Clanfamilien«, wollte Thomas Licher wissen.
»Seit Jahren wird über islamistische Beeinflussung diskutiert«, sagte Bernd Szczepanski, aber wenn es einmal um Rechts geht, gibt das sofort einen Aufschrei«.
Bezirksbürgermeister Martin Hikel nutzte das »Wort des Bürgermeisters«, um sich von der Pressemitteilung zu distanzieren. Er wies darauf hin, dass Aussagen aus dem Kontext gerissen wurden, dass es keineswegs darum gehe, dass Erzieher anhand des Aussehens von Kindern – es geht hier um Zöpfe tragende Mädchen – erkennen würden, welche politische Einstellung die Eltern hätten. Und weil er den Eindruck hatte, dass keiner der Bezirksverordneten das Heft gelesen hatte, hatte er allen ein Exemplar besorgt. »Damit Sie sich abseits der medialen Berichterstattung ein eigenes Bild machen können.«
mr
Die Broschüre ist im Internet abrufbar unter www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/kita_internet_2018.pdf