Geister der Mieter

Weiße Gestalten sitzen im Kiez.                                                                                                                    Foto: mr

Kunstaktion im Schillerkiez gegen Verdrängung

Geisterhaft bleiche Gestalten sitzen auf dem Gehweg. Sie haben Utensilien ihres Alltagslebens dabei, eine Zeitung, einen Kaffeebecher, ein Buch, so als seien sie gerade aus ihrer Wohnung vertrieben worden und wüssten nicht, wohin.
Es sind lebensgroße und – obwohl komplett weiß angestrichen – sehr lebensecht wirkende Puppen, die das Künstlerkollektiv »Reflektor Neukölln« am 15. Dezember einen Tag lang auf der Herrfurthstraße ausgesetzt hat. Jeder Puppe haben die Künstler einen Namen und eine Biographie gegeben, die Passanten mit Hilfe eines Smartphones über einen QR-Code hören oder in einer Sprechblase neben der Puppe lesen können. So werden konkrete Einzelschicksale erfahrbar, Geschichten von jungen und alten Menschen, Frauen und Männern, mit oder ohne Migrationshintergrund. Allen gemeinsam ist der Verlust ihres Lebensumfeldes. Inspiration für diese Geschichten waren die Kiezbewohner und die Situation im Schillerkiez.Die Mieten sind hier in den letzten Jahren rasant gestiegen und bringen Mieter in Bedrängnis. Viele müssen ihre Wohnungen verlassen, weil sie nach der Sanierung die Miete nicht mehr bezahlen können. Billige Bäckereien und Eckkneipen müssen Restaurants weichen, in denen veganes Superfood angeboten wird. Auch dem Kneipenkollektiv »Syndikat« wurde nach 33 Jahren der Mietvertrag gekündigt. Seitdem kämpft der Kiez.
Die Kunstaktion »Die Verdrängten« soll zeigen, dass es jeden treffen kann, aus der Wohnung und aus seinem Kiez zu fliegen. Die Puppen stehen für die Menschen, die mittlerweile im Kiez unsichtbar sind – weil sie verdrängt wurden. Dem Betrachter drängt sich der Vergleich mit den »Geisterrädern« auf, die an tödlich verunglückte Radfahrer erinnern.

Auf der Straße.                                                                                                                                                       Foto: mr

Seit Oktober arbeiteten die Künstler jedes Wochenende an der Konstruktion der Puppen, tatkräftig unterstützt von Mitgliedern des »Syndikats«. Viele Mitglieder der beiden Kollektive stellten sich auch als Modelle für die Puppenköpfe zur Verfügung.
Der »Reflektor« will die Puppen auch an andere Protestierende verleihen. So könnten »Die Verdrängten« den Berlinern bald schon wieder begegnen. Am 20. Dezember wurden sie bereits am Kurfürstendamm gesichtet.
Auf der Website »die-verdraengten.de« sind die Geschichten von insgesamt 20 Puppen nachzulesen.

mr